Konfliktherd Klimawandel: In Mali eskaliert die Gewalt zwischen Bauern und Hirten
Bei den Konflikten in Mali stehen vor allem die Gewalt und der Einfluss dschihadistischer Milizen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Ausbreitung von islamistischen Gruppierungen wie Ansar Andine im Sahelstaat war auch ein entscheidendes Motiv für das direkte, militärische Eingreifen Frankreichs im Land. Vor allem seit den letzten Jahren und dem Friedensabkommen mit aufständischen Tuareg, deren Unabhängigkeitskampf 2012 Gewalt und Islamisten vor allem im Norden Malis Tür und Tor geöffnet hatte, verschiebt sich der Konflikt zunehmend nach Zentralmali. Hier verläuft er jedoch weniger entlang religiöser oder politischer Interessen, sondern vor allem zwischen zwei der größten Volksgruppen. Mit der Einfuhr von Waffen, die die Tuareg nach dem Sturz Gaddafis aus Libyen mitgebracht hatten, nimmt auch dieser „ethnische“ Konflikt immer brutalere Ausmaße an. Immer wieder greifen die Landwirtschaft betreibenden Dogon Dörfer des Hirten- und Nomadenvolk der Fulbe (auch Pheul oder Fulani genannt) an und umgekehrt. Die Überfälle haben dabei durchaus Züge eines Genozides, da ganze Siedlungen vernichtet werden und die Angreifer auch vor der Ermordung von Kindern nicht zurückschrecken. Mittlerweile besteht die ernsthafte Befürchtung, dass die ethnischen Spannungen in Mali ähnliche Dimensionen annehmen könnten wie zwischen den Tutsi und Hutu in Ruanda. Zwar gab es auch in Mali immer Konflikte zwischen den Volksgruppen, aber anders als in Ruanda herrschte eigentlich nie eine derartige Feindschaft, die die Intensität dieser Gewalt erklären könnte. Warum also verschärft sich der Konflikt in den letzten Jahren derartig? Bei den Konflikten zwischen den Dogon und den Fulbe ging es seit jeher um die Nutzung überlebenswichtiger Ressourcen wie Weideland, Wald und Wasser. Ressourcen, die jedoch zunehmend knapp werden, und das nicht nur wegen des Bevölkerungswachstums im Land. 1) Spiegel.de: Gewalt in Mali: Angst vor einem neuen Ruanda; Artikel vom 18. Juni 2019 2) Presseportal: 115 Menschen sterben bei Massaker in Mali; Artikel vom 24. März 2019 3) Deutsche Welle: Blutiger Angriff auf Dorf in Mali; Artikel vom 10. Juni 2019 4) Friedrich-Ebert-Stiftung: Die Krise im Norden Malis; Veröffentlicht Dezember 2012
Denn in keiner Region der Welt zeigen sich die Auswirkungen des Klimawandels drastischer als im Sahel. Die Temperaturen steigen hier eineinhalb mal schneller als im globalen Durchschnitt. In Ländern wie Mali, Nigeria oder Mauretanien zeigt sich das in immer extremeren Wetterphänomenen wie längeren und heftigeren Dürre- oder Regenperioden. Ganze Jahreszeiten fallen aus. Eine sinnvolle Zukunftsplanung der Hirten und Bauern wird zunehmend unmöglich. Immer mehr fruchtbare Fläche geht verloren und Trinkwasserquellen werden immer unverlässlicher. Das Vieh der Hirten findet nicht mehr ausreichend Weidegras und verhungert, die Bauern können ihre Böden nicht mehr bewirtschaften. Mittlerweile sind fast 80 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche von Erosion und Desertifikation betroffen. Um bis zu drei Meter breitet sich die Wüste im Jahr aus. Die Konkurrenz um die verbleibenden, fruchtbaren Flächen nimmt drastisch zu und den Völkern fällt es zunehmend schwer, Konflikte wie bisher friedlich zu lösen. Früher wechselte man sich etwa mit der Landnutzung ab: Nach der Ernte konnten die Fulbe ihr Vieh auf den freien Feldern weiden lassen, die Tiere der Hirten düngten sie für die nächste Anbauzeit. Mit dem Klimawandel und dem Wegfall immer weiterer Flächen verschärft sich jedoch die Lage. Vor allem die Fulbe sind gezwungen in andere Regionen vorzustoßen, wo die ansässigen Bauern sie häufig als Eindringlinge betrachten. Der gestiegene Unmut bereitet die Grundlage für zusätzliche Stigmatisierungen: Zunehmend trifft die Fulbe der Generalverdacht, Anhänger der extremen Islamisten zu sein, da die Milizen in den letzten Jahren vor allem in dieser Gruppe Mitglieder rekrutiert haben. Viele der Fulbe schließen sich den Islamisten jedoch weniger aus religiöser Überzeugung, sondern aus purer Perspektivlosigkeit an, oder weil sie überzeugt sind, so ihr wertvolles Vieh vor Überfällen der Dogon schützen zu können. Auch die malische Regierung schließt sich der zunehmenden Stigmatisierung an, denn viele Massaker an den Fulbe werden gar nicht oder nur sehr oberflächlich verfolgt. Im Gegenteil werden Fulbe oft ohne hinreichende Begründung festgenommen und sogar ohne Anklage ermordet. Zunehmend drohen die Fulbe in Mali also zum Opfer ethnischen Hasses zu werden. 5) IKRK: Mali-Niger: Klimawandel und Konflikte führen zu einer explosiven Mischung in der Sahelzone; Artikel vom 22. Januar 2019 6) Klimaretter.info: Flucht vor dem Klimawandel; nicht mehr verfügbar 7) American Security Project: Climate Change & Ethnic Conflict in Africa Part I: Mali; Artikel vom 17. Juni 2019 8) Deutschlandfunk: Massaker in Mali: Viele Tote und viele Gerüchte; Artikel vom 15. Juni 2019 9) BBC: The battle on the frontline of climate change in Mali; Artikel vom 22. Januar 2019 10) Gesellschaft für bedrohte Völker: Mali: Überfälle der Dogon auf Peulh-Nomaden eskalieren; Artikel vom 25. März 2019
Der Klimawandel treibt Menschen nicht nur direkt in die Flucht, indem er wichtige Lebensgrundlagen erstickt, er befeuert auch Konflikte und gewaltsame Auseinandersetzungen, die nach wie vor die häufigste Fluchtursache darstellen. Mittlerweile ist dies nicht mehr nur eine naheliegende Hypothese, sondern wissenschaftliche Erkenntnis. Zwar kann in Mali nicht davon ausgegangen werden, dass klimatische Veränderungen allein der Auslöser für die zunehmende Gewalt zwischen den Volksgruppen darstellen. In Mali haben sie jedoch einen idealen Nährboden für die Massaker zwischen den Gruppen gebildet, in dem nur die Waffen und der Krieg sowie die zusätzliche Destabilisierung durch die Islamisten als Saat gefehlt haben. Das muss auch von den Verursachern des Klimawandels endlich mehr berücksichtigt werden. Kein Militäreinsatz, der allein sicherheitspolitische Gründe hat, wird die Gewalt verhindern können, die durch den Mangel an überlebenswichtigen Ressourcen entsteht. Seit 2013 sind französische Soldaten und UNO-Blauhelme, darunter auch deutsche Soldaten, in Mali. Die Gewalt war noch nie extremer als heute. Auch die Bevölkerung Malis steht den Einsätzen dort skeptisch gegenüber: Die Mehrzahl der Malier lehnt sie inzwischen ab, fürchtet sich vielmehr sogar vor Autonomieverlusten durch die Anwesenheit ihres früheren Kolonialherren Frankreich. 11) American Security Project: Climate Change & Ethnic Conflict in Africa Part I: Mali; Artikel vom 17. Juni 2019 12) Abel et. al: Climate, conflict and forced migration; Veröffentlicht: 21. Januar 2019 13) PassBlue: A Survey on Mali for Malians: What they want for their Country; Artikel vom 24. Juni 2019
Die Industrienationen haben eine Mitverantwortung für die Gewalt in Mali. Nicht nur wegen der kolonialen Vergangenheit oder fragwürdiger Handelsabkommen, sondern durch ihr Handeln innerhalb der eigenen Grenzen: Wenn Länder wie die USA aus Klimaschutzabkommen aussteigen, wenn Länder wie Deutschland sich zwar offiziell zum Klimaschutz bekennen, aber weiterhin vor allem Braunkohle oder Autoindustrie fördern und gleichzeitig massiv Arbeitsplätze im Bereich von erneuerbaren Energien abbauen, dann spüren Länder wie Mali die Folgen am meisten. So oft wird die Dringlichkeit betont Fluchtursachen zu bekämpfen. Der Klimawandel zeigt, dass dabei die Zeit lange vorbei ist, in der man diese nur in den Herkunftsländern der Flüchtenden suchen kann: Fluchtursachen liegen vor allem auch in den Industriestätten des Globalen Nordens und damit auch im Konsumverhalten seiner Bewohner.
Fußnoten und Quellen:
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