Der Sicherheitsrat, der Unsicherheit schafft – Wie fünf Staaten das Friedenssystem der Vereinten Nationen aushöhlen
Der Erste und der Zweite Weltkrieg forderten zusammen etwa 80 bis 90 Millionen Menschenleben. Allein 12 bis 14 Millionen Deutsche wurden aufgrund des Zweiten Weltkrieges zur Flucht aus ihrer ehemaligen Heimat gezwungen. Die Zahl der physisch und psychisch Verletzten kann man nicht erfassen. Aufgrund dieser globalen Katastrophen wurden die Vereinten Nationen (United Nations: UN) geschaffen, eine Institution, die in der UN-Charta von sich selbst sagt, fest entschlossen zu sein, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat“. In Anbetracht dieses Ziels ist es jedoch sehr verwunderlich, dass die Strukturen innerhalb der UN unfähig sind Konflikte, Kriege und Völkermorde zu verhindern, die Millionen von Menschen zur Flucht zwingen. 1) Bundeszentrale für politische Bildung: Kriegsfolgen; Artikel vom 30.04.2015 2) Centre europeén Robert Schuman: Bilanz in Ziffern des Ersten Weltkrieges; nicht mehr verfügbar
Die Ziele der UN sind gut, das steht außer Frage. In der Charta wird von der Wahrung des Weltfriedens, der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung aller Völker der Welt und der internationalen Zusammenarbeit zum Schutz der Menschenrechte geredet. Die UN setzt sich für eine nachhaltigere Umweltpolitik ein, bekämpft Geschlechterdiskriminierung, hat zusätzliche Unterorganisationen wie das Kinderhilfswerk UNICEF oder die Weltgesundheitsorganisation, fördert Projekte gegen Hunger und vieles mehr. Um zu verstehen, warum die UN dennoch so inneffektiv im Lösen von Konflikten auf der ganzen Welt ist, muss man sich ihre Organisationsstruktur und Machtverteilung genauer anschauen.
Die UN besteht aus 193 Mitgliedsstaaten, die in der Generalversammlung vertreten sind. Die Generalversammlung kann man auch als das „Parlament der Nationen“ beschreiben. Sie stimmt über UN-Resolutionen ab. Diese Resolutionen haben jedoch lediglich den Charakter von nicht bindenden Empfehlungen, haben also rein rechtlich gesehen erstmal überhaupt keine Bedeutung. Die tatsächlich bindenden Entscheidungen, die etwa Friedensmissionen entsenden, werden allein vom UN-Sicherheitsrat getroffen, dem bei weitem wichtigsten Organ der UN. Alle Staaten müssen sich and die Entscheidungen des Sicherheitsrates halten. Der Rat besteht aus 15 Mitgliedern, von denen 10 alle zwei Jahre von der Generalversammlung gewählt werden. So weit so gut. Nun gibt es aber noch die übrigen fünf Mitglieder (P5), die alle einen permanenten Sitz im Sicherheitsrat haben und zusätzlich noch ein Vetorecht besitzen. Die fünf Mitglieder sind die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China. Mit ihrem Vetorecht haben sie die Macht, jede bindende Resolution des Sicherheitsrates zu blockieren, selbst wenn die übrigen 14 Mitglieder die Resolution verabschieden wollen. Die P5 können also ihre Interessen auf der internationalen Ebene immer durchsetzen oder zumindest ihren Interessen entgegenstehende Entscheidungen verhindern. Seit der Gründung der UN 1946 gab es bereits 251 Vetos (194 allein von den USA und Russland/Sowjet Union). Und das sind nur die Resolutionen, die überhaupt zur Abstimmung gekommen sind, alle Resolutionen, die klar den Vorstellungen einer der Vetomächte entgegengelaufen wären, kommen erst gar nicht zur Abstimmung. Hat ein Konflikt also machtpolitische Relevanz für ein permanentes Mitglied des Sicherheitsrates (wie aktuell z.B. in Syrien: USA vs. Russland) folgen diese Staaten ihren regionalen Interessen und blockieren sich gegenseitig – sehr zum Leidwesen und auf die Kosten der vom Krieg heimgesuchten Bevölkerung. So gab es beispielsweise Vetos betreffend Resolutionen gegen Israel im Konflikt mit den Palästinensern oder auch gegen eine Verurteilung der Annexion der Krim. Eine effektive und schnelle Konfliktlösung ist damit ausgeschlossen und Flüchtlingsbewegungen vorprogrammiert. 3) United Nations: Growth in the United Nations Membership; Stand 07.06.2019 4) United Nations: Security Council Current Members; Stand 07.06.2019 5) Statista: Anzahl der Vetos der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen im Zeitraum von 1946 bis 2019; Stand 28.02.2019 6) Zeitschrift Vereinte Nationen: Die Vetos im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (1983-1990); Beitrag 1991 7) Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen: Der UN Sicherheitsrat: Streitende Bauarbeiter des Weltfriedens; nicht mehr verfügbar 8) Süddeutsche Zeitung: Lizenz zum töten für Assads Regime; Artikel vom 05.02.2012 9) Frankfurter Allgemeine Zeitung: Russland legt Veto gegen Krim-Resolution ein; Artikel vom 15.03.2014
Diese Interessen der P5 werden auf UN Ebene mit allen Mitteln propagiert, auch mit unlauteren. Erinnern wir uns z.B. daran, als Colin Powell, ehemaliger Außenminister der USA, im UN-Sicherheitsrat dem Irak den Besitz von Massenvernichtungswaffen vorwarf und so die spätere Invasion von US-Truppen rechtfertigte. Wie sich herausstellte, hatte er bewusst gelogen. In diesem Fall hat es nicht gereicht, den Rat durch vorgebrachte „Beweise“ von einem militärischen Eingreifen zu überzeugen, bei anderen Beispielen, wie etwa dem von der CIA durchgeführten Sturz der demokratisch gewählten Regierung in Guatemala 1954, hatten die Lügen im Sicherheitsrat jedoch mehr Erfolg. Trotzdem konnten die USA aufgrund ihrer Vetomacht nicht davon abgehalten werden völkerrechtswidrig mit einer „Allianz der Willigen“ 2003 in den Irak einzumarschieren. Hier sieht man also ganz deutlich, wie die P5 den Sicherheitsrat für ihr Eigeninteresse missbrauchen können. 10) The Intercept: Lie after Lie: What Colin Powell knew about Iraq 15 Years ago and what he told the U.N.; Artikel vom 06.02.2018 11) Deutschlandfunk: Auf Lügen gebaut; Artikel vom 05.02.2013 12) Ganser, Daniele: Illegale Kriege, Orell Füssli Verlag, Zürich, 2017
Unabhängig von der Blockade und den geopolitischen Machtspielchen der Mitglieder des Sicherheitsrates und den daraus resultierenden Konsequenzen für Regionen, die nichts mehr brauchen als ein Ende der Gewalt, gibt es noch ein anderes Problem, welches mit den P5 zusammenhängt. Die weltweiten Militärausgaben nehmen seit Ende der 1990er Jahren wieder kontinuierlich zu. Laut dem Stockholm International Peace Research Institute, welches schon seit Jahrzehnten Wissenschaftler, Politiker und Medien mit Daten und Analysen zur globalen Rüstungsindustrie versorgt, sind 6 Länder für 80 Prozent der weltweiten Waffenexporte verantwortlich. Mit diesen Waffen werden Kriege auf der ganzen Welt geführt, Menschenrechte verletzt und ganze Regionen destabilisiert. Die größten Exporteure sind demnach die USA, gefolgt von Russland, Frankreich, Deutschland und China. Mit Großbritannien auf Platz sechs sind alle P5 vertreten. Dabei konnten mit Ausnahme von Russland alle Länder das Volumen ihrer Waffenexporte in den letzten 4 Jahren im Vergleich zum vorherigen Zeitraum 2009-2013 sogar noch vergrößern. Der Sicherheitsrat sagt über sich selber, dass er die „primäre Verantwortung für die Bewahrung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit“ trägt, fraglich ist aber, inwieweit dieser Anspruch mit den Waffenexporten vereinbar ist, und ob es nicht eher so ist, dass die Waffenexporte internationalem Frieden und Sicherheit entgegengesetzt gegenüberstehen. 13) Stockholm International Peace Research Institute: Military Expenditure; Stand 2019 14) Stockholm International Peace Research Institute: International Arms Transfers; Stand 2019 15) Spiegel Online: Das sind die größten Waffenlieferanten der Welt; Artikel vom 11.03.2019 16) United Nations: United Nations Security Council; Stand 07.06.2019
Die UN und der Sicherheitsrat spiegeln das internationale System nach dem Zweiten Weltkrieg wider. Sie wurden geschaffen, um klassische Kriege zwischen Nationalstaaten zu verhindern. Dieses internationale System hat sich jedoch gewandelt. Großbritannien und Frankreich sind nicht mehr die kolonialen Weltreiche, die sie bei der Entstehung des Sicherheitsrates waren, und Kriege zwischen Nationalstaaten sind beinahe ausgestorben. Stattdessen gewinnen Länder wie Japan, Indien oder auch Deutschland immer mehr an Bedeutung und wir sprechen heute eher von sogenannten „New Wars“, also neuen Kriegen, die asymmetrisch in der Form von Bürgerkriegen, Terrorismus, oder Guerillakriegsführung auftreten. Um sich an diese Veränderungen anzupassen, braucht der allmächtige Sicherheitsrat dringend eine Reform. Die P5 müssen endlich anfangen, losgelöst von egoistischen Einzelinteressen zu handeln, seien es die ihrer Waffenlobby oder die geopolitischer Überlegungen. Zusätzlich sollte das exklusive Vetorecht abgeschafft werden, um endlich die „souveräne Gleichheit“ der Staaten zu schaffen, die in Artikel 2 der UN-Charta gefordert bzw. sogar vorausgesetzt wird. Der Sicherheitsrat sollte zudem repräsentativer aufgebaut werden. Aktuell sind die Regionen Afrika, Südamerika, Mittelamerika, Südostasien, der Nahe Osten, Australien und Ozeanien (zusammen über 40 Prozent der Weltbevölkerung) komplett von der permanenten Mitgliedschaft und damit effektiver Entscheidungsgewalt im Sicherheitsrat ausgeschlossen – obwohl die meisten Resolutionen doch genau diese Regionen betreffen. 17) Tenorio, Isaac Morales: Understanding the Debate on UN Security Council Reform; Bericht 2010 18) Kaldor, Mary: New and Old Wars: Organised Violence in a Global Era, Polity Press, Cambridge, 2012
Die UN hat eine eigene Flüchtlingsorganisation, die UNHCR. Sie ist eine „globale Organisation mit dem Ziel Leben zu retten, Rechte zu schützen und eine bessere Zukunft für Flüchtlinge, vertriebene Gemeinschaften und staatenlose Menschen zu schaffen“ – vielleicht wäre das effektivste, was diese Organisation machen könnte, die eigenen Vorgesetzten im Sicherheitsrat zurechtzuweisen und an die eigentlichen Ziele der UN zu erinnern. 19) United Nations High Commissioner for Refugees: The UN Refugee Agency; Stand 07.06.2019
Fußnoten und Quellen:
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