Sicheres Herkunftsland?: Deutschland heizt Konflikte in Algerien durch Rüstungsexporte an
Die Lage Algeriens kurz vor den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2019 ist kritisch. Der amtierende Staatschef Abdelaziz Bouteflika tritt mit fast 82 Jahren erneut an. Studenten der Universität von Algier und weitere Teile der Bevölkerung demonstrieren gegen eine fünfte Amtszeit Bouteflikas und fordern ein freies und demokratisches Algerien. Zudem ist unklar, ob der Präsident in seinem geschwächten gesundheitlichen Zustand noch in der Lage ist, das Land zu regieren. Der autoritäre Maghreb-Staat leidet seit Jahren unter sozialen Problemen, Korruption, hoher Arbeitslosigkeit und einer prekären Menschenrechtslage. Deshalb halten aktuell tausende Demonstranten dem hohen Polizeiaufgebot Stand. Auch bisherige Festnahmen schüchtern sie nicht ein. Trotz der brenzligen Situation erhöht Deutschland die Abschiebungen und fördert weiterhin die Rüstungsexporte nach Algerien. Zu Recht steht die Regierung dafür in der Kritik. 1) Konrad Adenauer Stiftung, Algerien vor der Präsidentschaftswahl – Artikel vom 27.02.2019 2) Luzerner Zeitung, Tausende Studenten protestieren gegen Bouteflika in Algerien – Artikel vom 26.02.2019 3) Süddeutsche Zeitung, Das Volk ist müde, der Präsident nicht – Artikel vom 25.02.2019
In der ersten Hälfte des Jahres 2018 genehmigte die Bundesrepublik Ausfuhren im Wert von etwas mehr als 2,5 Milliarden Euro. Dabei gingen erneut 52 Prozent der Waffenexporte an Länder außerhalb der NATO. Prinzipiell verstößt dies gegen die Grundsätze der Regierung, die Lieferungen an Drittstaaten zu einer Ausnahme machen wollte. Algerien stellt als ein Drittstaat den größten Hauptabnehmer deutscher Rüstungsgüter dar. Der Bundessicherheitsrat genehmigte Exporte in Höhe von 0,64 Milliarden Euro. Zwischen 2001 und 2015 lag der Gewinn durch den Rüstungshandel mit Algerien bei rund 2 Milliarden Euro. Geliefert wurden unter anderem Panzer, Produktionsgeräte, Sprengköper, Munition und Kleinwaffen. Aufgrund der aktuellen Menschenrechtssituation in Algerien werden derartige Aktionen von Kritikern häufig verurteilt. 4) Handelsblatt, Deutsche Waffenexporte für 2,5 Milliarden Euro – die Hälfte der Ausfuhren geht in Nicht-Nato-Länder – Artikel vom 23.07.2018 5) Aktion Aufschrei, Deutsche Rüstungsexporte nach Algerien – nicht mehr verfügbar
Gegen sowohl Migranten als auch Demonstranten gehen Polizei und Militär dort immer wieder gewalttätig vor und genießen dabei Straffreiheit. Vertreibungen aufgrund ethnischer Herkunft, Sammelabschiebungen und willkürliche Verhaftungen stehen in Algerien auf der Tagesordnung, Reporter ohne Grenzen sehen die Meinungs- und Pressefreiheit ebenfalls stark eingeschränkt. Darüber hinaus wird die Lage der Religionsfreiheit, der Frauen und die sexuelle Freiheit einem Länderbericht von Amnesty International zufolge kritisch bewertet. Noch immer toben Kämpfe zwischen bewaffneten Gruppen und Sicherheitskräften. Letztere töteten dabei 2016 laut Angaben der Behörden 125 Menschen. Nach den Kriterien des EU-Verhaltenskodex dürfte Deutschland theoretisch keine Rüstungsexporte nach Algerien genehmigen. Die Bundesregierung versicherte daher, dass alle Ausfuhren dort im Lande verbleiben. Doch nachdem der Eigenbedarf Algeriens gedeckt ist, steht einer unkontrollierten Verbreitung deutscher Waffen nichts mehr im Weg – vor allem im Hinblick auf die Tatsache, dass unter dem kaum handlungsfähigen Präsidenten und der ungewissen Zukunft der politischen Lage die tatsächlichen Akteure unbekannt sind. Waffenexporte vertiefen bereits vorherrschende Konflikte und fördern dementsprechend Fluchtgründe von Algeriern. 6) RP Online, Abschiebungen nach Algerien nehmen deutlich zu – Artikel vom 17.09.2018 7) Zeit Online, Schweres Gerät für einen guten Kunden – Artikel vom 31.12.2018 8) Handelsblatt, Deutsche Waffenexporte für 2,5 Milliarden Euro – die Hälfte der Ausfuhren geht in Nicht-Nato-Länder – Artikel vom 23.07.2018 9) Aktion Aufschrei, Deutsche Rüstungsexporte nach Algerien – nicht mehr verfügbar 10) Amnesty International, Länderbericht Algerien – Stand: 01.03.2019
Zudem verschärft Deutschland durch Ölimporte aus Algerien dort vorherrschende soziale Konflikte. 2017 erhielt die Bundesrepublik 1.958.000 Tonnen algerischen Rohöls. Doch diese Rohstoffe sorgen im Herkunftsland nicht für Reichtum, sondern führen, wie viele Ökonomen behaupten, zu Armut und Chaos. Staaten mit großen Rohstoffvorkommnissen tätigen meist Fehlinvestitionen mit den Gewinnen und vernachlässigen ihre Volkswirtschaft. Der ausschließliche Fokus auf Rohstoffexporte verhindert langfristiges Wachstum und schafft kaum Arbeitsplätze. Gleichzeitig trifft ein schwankender weltweiter Ölpreis diese Länder mit ihren schwachen Institutionen am härtesten. Deshalb leidet die Bevölkerung Algeriens bereits seit Jahren unter einer hohen Arbeitslosigkeit und anhaltender Wohnungsnot. 11) Statista. Deutsche Rohölimporte nach ausgewählten Exportländern in den Jahren 2011 bis 2017 (in 1.000 Tonnen) – Stand: 01.03.2019 12) Handelsblatt, Der Fluch der Bodenschätze – Artikel vom 19.04.2011
Während in Deutschland eine Debatte um die Sicherheitseinstufung der Maghreb-Staaten tobt, verschlimmern Rüstungsexporte und Ölimporte sowohl die menschenrechtliche als auch die soziale und wirtschaftliche Lage Algeriens. Ein Land kann nur durch aktives Handeln zu einem sicheren Herkunftsort gemacht werden und nicht blindlings als derartiges bezeichnet werden.
Fußnoten und Quellen:
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