Kamerun: Konflikt im anglofonen Westen des Landes droht sich zu Bürgerkrieg auszuweiten
In Kamerun sind momentan mehr als 180.000 Menschen auf der Flucht. Seit Ende 2016 hat sich die Sicherheitslage im anglofonen Westen des Landes massiv verschärft. Was mit friedlichen Protestmärschen und Streiks der englischsprachigen kamerunischen Minderheit, die sich von der von Frankofonen dominierten Zentralregierung vernachlässigt und unterdrückt fühlt, begonnen hatte, artet immer mehr zu einem Bürgerkrieg aus. Seit Monaten kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen militanten Separatistengruppen und dem Militär. Amnesty International spricht von einem „tödlichen Teufelskreis der Gewalt“, in dem der anglofone Teil Kameruns gefangen sei. Sicherheitskräfte sollen in zahlreichen Fällen Menschenrechtsverletzungen begangen und Dörfer in Brand gesetzt haben, während bewaffnete englischsprachige Rebellen immer wieder Anschläge auf Polizei- und Militärposten verüben und die Zivilbevölkerung einschüchtern. Laut der International Crisis Group sind seit Beginn des Konflikts mindestens 120 Zivilisten und 43 Angehörige der Sicherheitskräfte ums Leben gekommen. UN-Angaben zufolge haben 21.000 Kameruner im benachbarten Nigeria Schutz gesucht, weitere 160.000 Menschen sind innerhalb der Landesgrenzen auf der Flucht. Weil sich zahlreiche Flüchtlinge in Wäldern versteckt halten und noch keinen Kontakt zu humanitären Hilfsorganisationen hatten, dürfte die Dunkelziffer allerdings um einiges höher sein. 1) The New Humanitarian: Cameroon’s anglophone war, part 1: A rifle as the only way out; Artikel vom 12.06.18 2) Amnesty International: A Turn For The Worse: Violence And Human Rights Violations In Anglophone Cameroon; veröffentlicht am 12.06.18 3) Tagesschau: „Wir leben in ständiger Angst“; Artikel nicht mhr verfügbar 4) Amnesty International: Cameroon: anglophone regions gripped by deadly violence; Artikel vom 11.06.18 5) Washington Post: Africa’s next civil war could be in Cameroon; Artikel vom 30.05.18
Kamerun ist neben Kanada das einzige Land weltweit, in dem Englisch und Französisch gemeinsam Amtssprachen sind. Der anglofone Teil des zentralafrikanischen Staates setzt sich aus den beiden Regionen Nordwest und Südwest zusammen und macht etwa 10 Prozent des Territoriums aus. Hier leben knapp fünf Millionen Menschen – ein Fünftel der Gesamtbevölkerung –, von denen fast alle Englisch als Muttersprache sprechen. Südwest und Nordwest spielen eine wichtige Rolle in der kamerunischen Wirtschaft, insbesondere im Landwirtschafts- und Dienstleistungssektor. Darüber hinaus befindet sich vor den Küsten des anglofonen Landesteils der Großteil der kamerunischen Ölvorkommen, die etwa zu einem Zwölftel zum Bruttoinlandsprodukt beitragen. 6) Washington Post: Africa’s next civil war could be in Cameroon; Artikel vom 30.05.18 7) International Crisis Group: Cameroon’s Anglophone Crisis at the Crossroads; veröffentlicht am 02.08.17
Doch die anglofonen Kameruner sehen sich zumeist als Bürger zweiter Klasse. Sie fühlen sich in nahezu jedem Aspekt ihres Lebens marginalisiert, von der Verteilung staatlicher Gelder über den Bildungssektor bis hin zur politischen Repräsentation. Die kamerunische Regierung wird, wie auch die wirtschaftliche Elite des Landes, von Frankofonen dominiert – was man unter anderem daran erkennen kann, dass unter den 36 Ministern, die über staatliche Ausgaben entscheiden, nur ein Anglofone ist. Vor allem aber wurde Kamerun seit der Erlangung der Unabhängigkeit durchgehend von frankofonen Präsidenten regiert. Von 1960 bis 1982 stand Ahmadou Ahidjo an der Spitze des zentralafrikanischen Staates, sein Nachfolger Paul Biya ist noch immer im Amt. Die anglofone Bevölkerung wirft der Regierung schon seit Jahrzehnten vor, eine gezielte Assimilierungspolitik zu betreiben. 8) Washington Post: Cameroon continues its opression of English-speakers; Artikel vom 21.03.17 9) The Economist: The danger of Cameroon’s war of words; Artikel vom 28.06.18 10) Washington Post: Africa’s next civil war could be in Cameroon; Artikel vom 30.05.18
Die Unzufriedenheit im englischsprachigen Westen Kameruns reicht weit zurück. Kamerun war bis zum Ende des ersten Weltkriegs eine deutsche Kolonie, danach übertrug der Völkerbund Großbritannien und Frankreich ein Mandat über unterschiedlich große Teile des Landes. Seit sich im Jahr 1961 der ehemals britische Teil mit dem französischen zum heutigen Kamerun verband, sieht sich die anglofone Minderheit Diskriminierungen ausgesetzt. Schon lange fordern Lokalpolitiker mehr Selbstverwaltungsbefugnisse und größere Autonomie, was vonseiten der autoritären Zentralregierung aber immer abgelehnt wurde. Das hat dazu geführt, dass in den beiden englischsprachigen Landesteilen militante Separatistengruppen an Zulauf gewonnen haben. 11) International Crisis Group: Cameroon’s Anglophone Crisis at the Crossroads; veröffentlicht am 02.08.17
Hintergrund der aktuellen Entwicklung ist die durch Separatistengruppen einseitig ausgerufene symbolische Unabhängigkeit der anglofonen Landesteile als Ambazonien am 1. Oktober 2017. Dieses Ereignis wurde umgehend mit Repressionen vonseiten der Regierung beantwortet. Die damaligen Proteste wurden gewaltsam niedergeschlagen, es kam zu Toten und Verletzten. Seither häufen sich im Westen des Landes Anschläge auf Polizei und Streitkräfte. Diese wiederum beantwortet das Regime des autoritär herrschenden Staatspräsidenten Biya mit weiteren gewaltsamen Maßnahmen. Dem Militär werden schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. 12) Amnesty International: A Turn For The Worse: Violence And Human Rights Violations In Anglophone Cameroon; veröffentlicht am 12.06.18
Fußnoten und Quellen:
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