Wie unser Plastik-Konsum die Weltmeere verschmutzt und was die EU dagegen unternehmen möchte
Die Europäische Kommission hat letzte Woche das Verbot für zehn Einwegprodukte aus Plastik beschlossen. Darunter Strohhalme, Wattestäbchen, Luftballonstäbchen, Besteck, Teller und Rührstäbchen – alles Dinge, die leicht durch umweltfreundlichere Materialien ersetzt werden können. Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament haben diesem Verbot zugestimmt. Doch bekämpft man damit wirklich das Grundproblem? Oder ist es nur eine kurzfristige Lösung, um das Gewissen zu beruhigen? 1) European Comission: Plastic Waste: a European strategy to protect the planet, defend our citizens and empower our industries; Artikel vom 16.01.2018
Die EU verbietet Plastikprodukte und zieht sowohl Hersteller wie auch Mitgliedsstaaten verschärft in die Plicht
„Unsere Richtlinie deckt 70 Prozent des Plastikmülls ab, der an Europas Stränden zu finden ist“, so der Vizepräsident der EU-Kommision Frans Timmermans. „Wir zielen auf die zehn meistverbreiteten Einwegprodukte, die in der Umwelt landen und die sich nur sehr schwer recyceln lassen.“ Der Entwurf der Kommission nimmt dabei die Hersteller solcher Produkte verstärkt in die Pflicht. Für sie soll es finanzielle Anreize geben, weniger der praktischen, aber umweltschädlichen Plastikprodukte zu produzieren. Für all die Plastikwaren, die oben nicht aufgezählt sind und für die deshalb kein ausschließliches Verbot besteht, setzt Brüssel auf eine sogenannte Plastiksteuer. Die Hersteller werden so gezwungen, die Verwendung von Lebensmittelverpackungen und Getränkebecher aus Kunststoff zu reduzieren. Einwegprodukte aus Plastik sollen beispielsweise nicht mehr kostenlos ausgegeben werden. Durch die Plastiksteuer werden die billigen Produkte teurer und nähern sich den Preisen der nachhaltigen Produkte (mit recyclebarer Verpackung). Damit werden jene teuren und grünen Produkte konkurrenzfähiger – und irgendwann vielleicht sogar günstiger. 2) Watson: Die 3 Pros + die 3 Contras, die du zu der Zukunft ohne Plastikröhrlis wissen musst; Artikel vom 30.05.2018 Neben der Kunststoffindustrie sollen sich aber auch die Mitgliedsstaaten an den Kosten beteiligen, etwa für die Säuberung der Natur oder für Aufklärungskampagnen. Auf lange Sicht, so der für Wachstum und Beschäftigung zuständige EU-Kommissar Jyrki Katainen, spare die EU nicht nur geschätzte 6,5 Milliarden Euro, sie tue auch etwas für ihr gutes Gewissen und verschaffe sich international einen Wettbewerbsvorteil. Die Idee dahinter sei, „das Problem in eine Chance zu verwandeln“. Als erste wichtige Zielmarke nennen die EU-Kommissare das Jahr 2025. Bis dahin sollten mindestens 90 Prozent aller Getränkeflaschen aus Plastik in der EU recycelt werden. Beispielsweise mit Hilfe eines Pfandsystems, wie man es seit 2003 aus Deutschland kennt. Im Jahr 2030 soll die Quote dann bei 100 Prozent liegen.
Trotz allem gibt es an der Richtlinie schon jetzt viel Kritik: So bemängeln Umweltschützer und Grüne im Parlament, die vorgeschlagenen Maßnahmen reichen nicht weit genug. Der grüne EU-Abgeordneten Martin Häusling spricht von „Symbolpolitik“. Man solle lieber gegen Plastikverpackungen von Lebensmitteln vorgehen, als Strohhalme oder Ballonhalter aus Kunststoff zu verbieten. Er rät zudem, das Recycling in allen Bereichen systematischer als bisher zu betreiben. 3) Tagesschau: Ein Problem in eine Chance verwandeln; Artikel vom 28.05.2018 Doch nicht nur einige Umweltschützer sind gegen das neue Gesetz. Mit diesem Verbotserlass legt sich die Europäische Union zudem mit einer sehr mächtigen Branche an: den Kunststoffproduzenten Europas. Laut SRF setzen diese jährlich 340 Milliarden Euro um und um die 1,5 Millionen Menschen haben dort einen sicheren Arbeitsplatz. 4) Watson: Die 3 Pros + die 3 Contras, die du zu der Zukunft ohne Plastikröhrlis wissen musst; Artikel vom 30.05.2018
Die Plastikflut in unseren Meeren ist schädlich für ihre Meeresbewohner, die Umwelt und uns Menschen
„Genau die Eigenschaften, die Plastik zu einem so fantastischen Material für uns Menschen machen – Leichtigkeit, Festigkeit, Haltbarkeit, machen es auch zu so einem Desaster, wenn es in die Natur gelangt“ (Aus „Plastic – A toxic love story“ von Susan Freinkel). Plastik ist aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Ein „Weiter so“ ist aber auch keine Option. Sonst leben wir bald auf einer Müllhalde. Die Misere ist offensichtlich: Gerade weil Plastik so praktisch und billig ist, häufen wir immer mehr davon an. Das sorgt dafür, dass es mittlerweile in den entlegensten Winkeln der Erde zu finden ist.
Jährlich verursacht allein jeder Deutsche schätzungsweise 37 Kilogramm Plastikmüll. EU-weit ist der Müllberg gut 26 Millionen Tonnen schwer. Jede Minute landen deshalb auf der Welt eine Millionen Plastikflaschen im Müll. Viele davon tuckern in Schiffen nach Asien, purzeln von den Müllbergen in die Flüsse und strömen weiter ins Meer. Von den 8 Millionen Tonnen Plastik, die jedes Jahr in die Ozeane gelangen, stammen 95 Prozent aus den zehn größten Flüssen Asiens. Aber auch andere Ursachen haben zu der heutigen Situation geführt. Ein Teil entsteht natürlich durch Touristen oder die Küstenbewohner selbst, die sorglos mit ihrer Umwelt umgehen. Der größte Verursacher ist allerdings die Kunststoffindustrie. Mit mehr als 800 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr ist Plastik aus der Weltwirtschaft kaum wegzudenken. Europa ist sowohl als Produzent als auch als Konsument ein wichtiger Akteur. Ungefähr ein Viertel des Plastikverbrauchs geht auf das europäische Konto. Unter den Top Ten der Müllerzeugerfirmen sind bekannte Namen wie Unilever mit 5869, Procter & Gamble mit 3899 und der Spitzenreiter Nestlé mit 9084 Plastikteilchen. 5) Epo: Nestlé und Unilever an Spitze des Markenrankings großer Plastikverschmutzer; Artikel vom 22.07.2018 PlasticsEurope ist ebenfalls einer der führenden europäischen Wirtschaftsverbände. Der Konzern produziert ungefähr 90 Prozent der Kunststoffe in Europa und der Türkei und erwirtschaftet damit über 300 Milliarden Euro im Jahr. Laut PlasticsEurope ist die europäische Kunststoff-Industrie ein wesentlicher Faktor des Wohlstandes in Europa und notwendig, um den europäischen Lebensstandard aufrecht zu erhalten. 6) Plastic Planet: Wirtschaftsfaktor Plastik!; nicht mehr verfügbar
Schon 1997 stieß Charles Moore, Meereskundler und Kapitän, mitten im Pazifik auf eine zuvor unbekannte Insel. Eine Insel aus Plastik: „Als ich den Blick von Deck über die Oberfläche dessen schweifen ließ, was ein klarer Ozean sein sollte, war ich mit dem Anblick von Plastik konfrontiert, soweit das Auge reichte. Es war unglaublich, aber ich konnte keinen unbedeckten Flecken finden. In den Wochen, die es dauerte, die Subtropenfront zu überqueren, schwamm Plastikabfall an der Oberfläche, egal zu welcher Zeit ich schaute: Flaschen, Deckel, Verpackungen, Fragmente“, berichtete er. Seine Entdeckung nennt man heute den pazifischen Müllstrudel (Great Pacific Garbage Pac). 7) Wikipedia: Charles J. Moore; Stand: 07.06.2018 Inzwischen ist dieser Plastikstrudel rund vier-mal so groß wie Deutschland. Was der Amerikaner beschreibt, ist nur die Oberfläche des eigentlichen Problems, denn ca. 70 Prozent des Plastiks sinken auf den Grund der Ozeane. Die Dokumentation »A Plastic Ocean« gilt wohl als eine der wichtigsten im Jahre 2017. Ein Forscherteam macht sich hierbei auf den Weg zum Meeresgrund in vielen Kilometern Tiefe. Die Bilder unter Wasser sind paradiesisch – bis nach wenigen Augenblicken die erste Plastikflasche vor der Kamera erscheint. Auf jede Flasche, jeden Deckel und jeden alten Kanister, der im Wasser treibt, kommen zahllose Kleinstpartikel, die sich von den größeren Gegenständen lösen oder aus Lecks in der Plastikproduktion direkt in die Gewässer gelangen. 8) Utopia: „A plastic Ocean“: der vielleicht wichtigste Film des Jahres 2017; Stand: 07.06.2018
Der Auflösungsprozess von Plastik braucht Jahre, wenn nicht sogar Jahrhunderte. Eine PET-Flasche benötigt zum Beispiel 450 Jahre, um komplett zu zerfallen, ein Styroporbecher etwa 50 Jahre. Dabei zerteilt sich das Plastik mit der Zeit in winzige Partikel. Und weil die Ozeane kein abgeschlossenes System sind, ist der Plastikmüll mittlerweile auch in Form dieser kleinsten Partikel in unserem Leitungswasser und abgefüllten Wasserflaschen angekommen. Sie stecken in den Böden, auf denen unsere Nahrungsmittel wachsen, und fliegen durch die Luft, die wir atmen. Seevögel oder Fische essen die Plastikteile, weil sie aussehen und riechen wie ihre Nahrung (beispielsweise Plankton). Bei einer Untersuchung wurden in 90 Prozent der Vögel Plastikteile gefunden. In manchen Gegenden verenden die Vögel reihenweise, weil ihre Mägen zum Bersten mit Plastik gefüllt sind, teilweise mit Mengen, die auf die Größe eines Menschen umgerechnet acht Kilogramm Plastik entsprechen würden. 9) The Guardian: Up to 90% of seabirds have plastic in their guts, stuy finds; Stand: 07.06.2018 Auch in 73 Prozent aller untersuchten Fische im Nordwest-Atlantik wurden Plastikteile gefunden. Fische sind für Milliarden Menschen Nahrungsgrundlage und über sie gelangt das Plastik auch in unsere Körper. Die genauen Konsequenzen von Plastik im Körper sind noch nicht erforscht, einen Großteil der Partikel stoßen wir einfach direkt wieder aus. Klar ist aber: An Plastikpartikel heften sich Gift- und Schadstoffe, die mit den Partikeln in unseren Körper gelangen. Einige Plastikarten haben eine hormonähnliche Wirkung auf uns und verändern so unseren Biohaushalt. Plastik ist mittlerweile also wirklich überall. 10) RTE: 73 % of deep sea fish ingested plastic – NUIG study; Stand: 07.06.2018
Globaler Plastikverbauch raubt vielen Menschen die Lebensgrundlage
Dies alles hat horrende Folgen – vor allem für Fischer in Entwicklungsländern. Es geht ihnen mehr Plastikmüll als Fische ins Netz. Die Fischbestände schrumpfen zudem Jahr für Jahr. Die Tiere fressen den Müll und sterben daran. Jetzt haben nicht nur die Anwohner der Küstenregionen weniger zu essen, sondern sie können die wenigen Fische nun auch nicht mehr verkaufen, da sie sie selber zum überleben benötigen. Die Nahrungsmittelknappheit und Arbeitslosigkeit sind Auslöser für Flucht. Die fehlenden Einkommensmöglichkeiten zwingen Familien, in andere Regionen abzuwandern, um ihr Überleben zu sichern. Und auch der Tourismus leidet unter den wachsenden Müllbergen an den Stränden und Städten zahlreicher beliebter Urlaubsziele, wie zum Beispiel auch in Manila. Für viele Entwicklungsländer stellt der Tourismus eine der Haupteinnahmequellen dar. So wird die Ökonomie dieser Staaten nachhaltig durch die Vergiftung durch Plastik geschädigt. Besucherzahlen gehen zurück und wichtige Arbeitsplätze für zahlreiche Einheimische gehen verloren. Investitionen, beispielsweise in die Infrastruktur oder das Gesundheitswesen, die aus Einnahmen aus dem Tourismus gespeist werden, können nicht mehr getätigt werden. 11) WWF: Das kann kein Meer mehr schlucken: Unsere Ozeane versinken im Plastikmüll; Stand: 07.06.2018 12) Bund für Umwelt und Natursachschutz: Mikroplastikstudie 2016; Stand: 07.06.2018
In 20 Jahren werden die Plastikfabriken auf der Welt voraussichtlich doppelt so viele Tüten, Flaschen etc. produzieren wie heute. Wie verhindern wir, dass sich unsere Körper und unser Planet dabei in eine totale Müllkippe verwandeln? Ist das Verbot von zehn Einweg-Plastikprodukten ein Schritt in die richtige Richtung oder ein kläglicher Versuch sein Gewissen zu reinigen, wobei es aber eigentlich keine wirklichen Auswirkungen hat? Langwierig kann man damit das Problem wohl nicht lösen und den armen Fischern ihre Existenzgrundlage zurückgeben. Kurzfristig ergibt das Verbot aber auf jeden Fall Sinn. Irgendwo muss man anfangen: “Change is possible and it starts with us”.
Fußnoten und Quellen:
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