Gewalt in Burundi zwingt Bevölkerung zur Flucht
„Heute muss man wieder aufpassen, was man sagt, tut und wo man hingeht“, so Verena Stamm, die vor 44 Jahren mit ihrem burundischem Ehemann in dessen Heimatland auswanderte und seitdem dort als Entwicklungsarbeiterin tätig ist. Denn nach dem positiven Ergebnis der vom Präsidenten geforderten Verfassungsreform nimmt die Gewalt im ostafrikanischen Land wieder zu. Seit 2015 sind bereits über 400.000 Menschen aus Burundi geflohen. 1) Spiegel Online: Politischer Terror in Burundi: „Man muss wieder aufpassen, was man sagt“; Artikel vom 24.02.2018
Die Bevölkerung Burundis hat letzte Woche über eine Verfassungsreform des Präsidenten Pierre Nkurunziza abgestimmt. Diese beinhaltet eine Ausdehnung der Amtszeit des Staatsoberhauptes von fünf auf sieben Jahre. Mit der Durchsetzung dieser Neuregelung kann er nun bis zum Jahre 2034, also weitere 16 Jahre, regieren. 73 Prozent der Burundier stimmten für die Neuerung und somit indirekt für den Präsidenten. Doch die Wahl lief alles andere als demokratisch ab: An Straßensperren kontrollierten die Mitglieder des radikalen Jugendverbandes der Regierung, ob sich Passanten für das Votum registriert hatten. Wer keinen Beleg vorweisen konnte, wurde ins Wahllokal getrieben. Der Präsident drohte: „Stimmt ihr mit Nein, gibt es Tote“. Es herrscht allgemeine Angst, gesät von Burundiern, „die zu Gewalt greifen oder ihre Macht missbrauchen, um die Meinungsfreiheit zu beschränken“, erklärt der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Bischof Joachim Ntahondereye.
Seit 2005 ist der 54-Jährige Pierre Nkurunzizanun Staats- und Regierungschef und hatte sich bereits vor dem Referendum zum „Ewigen Führer“ ausrufen lassen. Statistiken zeigen schon jetzt, dass die seit 2015 andauernde Krise im Land durch das jetzige Referendum weiter verschärft wurde. Bereits in den Wochen vor dem 17. Mai, dem Tag der Abstimmung, kam es zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitsorgane und insbesondere die Jugendorganisation der Regierungspartei, Imbonerakure. Die Opposition klagt über Morde, Verschleppungen und willkürliche Inhaftierungen und hatte zum Boykott aufgerufen. Kritiker sehen Burundi auf dem Weg in die Diktatur. 2) Domradio.de: Gewalt und Einschüchterung vor Burundis Verfassungsreferendum; Artikel vom 17.05.2018 Auch die Bundesregierung hatte sich kritisch zu der Volksabstimmung geäußert. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amts betonte, dass die Machtverhältnisse mit der neuen Verfassung zugunsten der Regierungspartei verschoben werde. Das Referendum laufe den internationalen Bemühungen zuwider, eine politische Lösung der Krise in Burundi zu erreichen.
Das zwischen Ruanda, Tansania und der Demokratischen Republik Kongo gelegene Land erlebte in den 70er Jahren sowie 1993 bis 2003 blutige Bürgerkriege zwischen den Bevölkerungsgruppen der Hutu und Tutsi. Erst mit dem Abkommen von Arusha im Jahr 2000 wurden diese vorerst beendet. Der Friedensvertrag legte den Grundstein für eine umfassende Machtteilung zwischen beiden Gruppen in Regierung, Parlament, Verwaltung, Polizei und Armee. Seitdem haben sich die politischen Konfliktlinien verschoben. Sie verlaufen nun vor allem zwischen dem zunehmend autoritärem Regime und verschiedenen Rebellengruppierungen, denn während dieser ganzen Zeit entstanden mindestens drei davon. Sie streben eine gewaltsame Entmachtung Nkurunzizas an. Zum Einen die vor allem in der Hauptstadt Bujumbura aktive Gruppe RED-Tabara („Résistance pour un état de droit au Burundi“). Außerdem die aus Beteiligten am gescheiterten Putsch entstandene FOREBU („Forces républicaines du Burundi“) sowie eine Gruppe um den ehemaligen Vorsitzenden der Regierungspartei CNDD-FDD Hussein Radjabu. Sie sind aber bis jetzt noch nicht in der Lage gewesen das Regime zu stürzen, da ihnen sowohl die Ausstattung als auch Mitwirkende für solch eine Operation fehlen. Viele Menschen in Burundi sind unzufrieden und verängstigt. Dies machen sich diese kriminellen Gruppen zu Nutze und gewinnen dadurch jährlich neue Anhänger. 3) DW: Referendum in Burundi gibt grünes Licht für umstrittene Verfassungsreform; Stand 08.06.2018
Nach dem Ende der Bürgerkriege galt die erste Amtszeit Nkurunzizas (2005-2010) als Phase des Ausgleichs zwischen den verschiedenen Gruppen in Politik und Gesellschaft. Die Lage der ländlichen Bevölkerung verbesserte sich trotz allem nicht. Die Situation verschlechterte sich eher, weil die Rückkehr Zehntausender Flüchtlinge die Konflikte um das ohnehin knappe Land verschärfte. Die Machtelite um Nkurunziza – ehemalige Milizionäre sowie Mitglieder der alten Tutsi-Elite – bereicherte sich währenddessen am Staatshaushalt, anstatt zur Bekämpfung der Armut beizutragen. Außerdem profitierten bestimmte Provinzen, insbesondere Ngozi und die gleichnamige Geburtsstadt des Präsidenten, stärker von staatlichen Zuwendungen.
Nach der Wiederwahl Nkurunzizas 2010 begann die Partei „Conseil national pour la défense de la démocratie – Forces de défense de la démocratie“ (CNDD-FDD) mit dem systematischen Ausbau ihrer Vorherrschaft. Die Rechte regimekritischer Parteien wurden eingeschränkt. Auch begrenzte ein neues Gesetz die Versammlungsfreiheit und ermöglichte die Verfolgung oppositioneller Politiker, sollten diese „lügen“ oder „nicht im Interesse der Nation handeln“. Auch kritische Stimmen der Zivilgesellschaft wurden eingeschüchtert und die Pressefreiheit durch verschiedene gesetzliche Regelungen untergraben. Renommierte Aktivisten wie der Menschenrechtsverteidiger Pierre Claver Mbonimpa und der Direktor des privaten Radiosenders Radio Publique Africaine, Bob Rugurika, wurden unter fadenscheinigen Vorwänden verhaftet und erst auf internationalen Druck wieder freigelassen. Ein Klima der Gewalt und Angst etablierte sich bereits zu dieser Zeit.
Als Staatspräsident Pierre Nkurunziza dann im Frühjahr 2015 verfassungswidrig, aber erfolgreich, für eine dritte Amtszeit kandidierte, eskalierte die Gewalt in Burundi, denn Nkurunzizas dritte Amtszeit hat die in der Verfassung festgeschriebene Beschränkung auf zwei Mandate faktisch ausgehebelt. Es kam zu Unruhen, die Sicherheitskräfte reagierten brutal. Bei den Auseinandersetzungen sind Schätzungen zufolge mehr als 3.000 Menschen gestorben. Hunderte Menschen verschwanden und gelten seitdem offiziell als vermisst. Tote und Vermisste waren nicht die einzige Folge. Eine gewaltige Flüchtlingswelle wurde ausgelöst und binnen eines Jahres flohen nach UN-Angaben fast 260.000 Menschen. Darunter etliche Oppositionelle und Aktivisten. Hinzu kommen mindestens 10.000 politische Gefangene, die Folter und Misshandlungen erlitten. 4) BPB: Burundi; Stand: 08.06.2018 5) Domradio.de: Gewalt und Einschüchterung vor Burundis Verfassungsreferendum; Artikel vom 17.05.2018
430.000 Burundier sind seit 2015 vor der Gewalt im eigenen Land in die Nachbarländer Tansania, Ruanda und DR Kongo geflohen, hinzu kommen 200.000 Binnenvertriebene. Sie fühlen sich in ihrer Heimat nicht sicher und erhoffen sich ein besseres Leben nach der Flucht. Die Hoffnung auf Frieden ist in weite Ferne gerückt. Neben der Gewalt treibt auch die ökonomische Perspektivlosigkeit die Menschen in die Flucht. Die burundische Wirtschaft ist seit dem Beginn der Krise in eine schwere Rezession geschlittert. 81 Prozent der Bevölkerung gelten als arm – Burundi gehört also zu den ärmsten Ländern der Welt. Hoher Bevölkerungsdruck und extreme Landknappheit sowie schlechte Chancen für die Mehrheit der auf dem Land lebenden Menschen sind die drängendsten Probleme. Das Bevölkerungswachstum von über drei Prozent übersteigt das Wirtschaftswachstum deutlich, sodass selbst gut ausgebildete Burundier keine berufliche Perspektive haben. Die humanitäre Lage im drittärmsten Staat der Welt ist prekär: Mehr als ein Viertel der Bevölkerung ist auf humanitäre Hilfe angewiesen. 2016 warnte UNICEF vor einer großen Ernährungskrise in Burundi. Neben dem allgegenwärtigen Hunger wütet die Malaria. Dazu kamen zuletzt Überflutungen, die Teile der Hauptstadt verwüsteten. Besonders Frauen und Kinder leiden unter der Situation. Sie werden außerdem immer wieder Opfer sexueller Übergriffe, vor allem durch die Imbonerakure – selbst in Flüchtlingslagern jenseits der Grenze. 6) BPB: Burundi; Stand: 08.06.2018
Fußnoten und Quellen:
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