Fragwürdiger Einsatz im Irak: Neue Bundeswehrmission könnte Konflikte im Land verschärfen
Das Bundeskabinett stimmte gestern für eine neue Mission der Bundeswehr im Irak. Zukünftig sollen auch Teile der irakischen Armee durch deutsche Bundeswehrsoldaten ausgebildet werden. Die Ausbildung der Peschmerga-Kämpfer im Nordirak soll hingegen zunächst eingestellt werden. Die Ausweitung und Verlängerung der militärischen Aktivitäten stoßen auch auf Kritik. Das letzte Wort hierzu hat der Bundestag Mitte März in einem Eilverfahren, eine Zustimmung gilt aber als sicher. 1) Spiegel Online: Kabinett stimmt für neuen Bundeswehreinsatz im Irak; Artikel vom 07.03.2018 2) t-online: Deutschland schickt Soldaten in ein politisches Minenfeld; Artikel vom 06.03.2018
Die Spuren des Krieges gegen die IS-Miliz sind allgegenwärtig
Der Irak ist sicherlich ein Schlüsselstaat zur Befriedung des Mittleren und Nahen Ostens. Die Stabilisierung dieser Region liegt auch im besonderen deutschen und europäischen Sicherheitsinteresse, denn Flucht und Vertreibung können nur durch Stabilität und Frieden bekämpft werden. Das ist aber in einem Land, das sich durch große religiöse, kulturelle und ethnische Diversität auszeichnet, kein leichtes Unterfangen. Vor allem die konfessionellen Spannungen zwischen sunnitischen und schiitischen Akteuren begleiten den Staat seit jeher. Unter der Grenzziehung der Kolonialzeit, die den irakischen Staat erst erschaffen hat, leidet das Land bis heute. Frankreich und Großbritannien waren es, die wie am Reißbrett Grenzen zogen, die bis heute Kurden, Sunniten und Schiiten in einem Staatengebilde vereinen sollen. Eine gemeinsame nationale Identität kam nie auf, vielmehr begreifen die unterschiedlichen Akteurs-Gruppen diese unabhängig voneinander. Der Irak ist in vielerlei Hinsicht ein gescheiterter Staat. Auch nach der Zerschlagung des IS und der Befreiung der durch die IS-Miliz besetzten irakischen Städte und Gebiete ist das Land ethnisch und religiös immer noch tief gespalten. Durch die Kämpfe gegen den Islamischen Staat sind noch immer ganze Regionen weitestgehend zerstört. Die Industrie und die Infrastruktur liegen teils brach. Obwohl der irakische Ministerpräsident Ende 2017 das Ende des Krieges und den IS in seinem Land als besiegt erklärte, gibt es in der Hauptstadt Bagdad immer wieder Terroranschläge, die den Wiederaufbau und die Stabilität im Land behindern. Von einer Befriedung kann deshalb keineswegs die Rede sein. Die Folgen sind Armut, Vertreibung und Arbeitslosigkeit. 3) finanzen.net: Wadephul: Irak ist ein Schlüsselstaat zur Befriedung des Nahen und Mittleren Ostens; nicht mehr verfügbar 4) t-online: Deutschland schickt Soldaten in ein politisches Minenfeld; Artikel vom 06.03.2018 5) Informationsportal zur politischen Bildung: Irak: Ein kriegsgeplagtes Land; Stand 08/2020 6) Spiegel Online: Irak braucht fast 90 Milliarden Dollar für Wiederaufbau; Artikel vom 12.02.2018
Innerhalb der irakischen Staatsgrenzen sind 800.000 Menschen auf der Flucht. Viele von Ihnen leben in Camps in den Regionen Dohuk und Erbil. Die Perspektivlosigkeit und die Angst, in Kampfhandlungen verwickelt zu werden, drängt viele, gerade junge und gut ausgebildete Leute, dazu, ins Ausland zu fliehen. In den vergangenen Jahren verließen Millionen Iraker das Land meist in Richtung Europa. Auch nach Deutschland fanden mehrere 100 000 irakische Flüchtlinge den Weg. Angesichts des dringend notwendigen Wiederaufbaus von Verwaltung und Wirtschaft im Land ist sowohl finanzielle Hilfe als auch militärische Präsenz des NATO-Bündnisses unverzichtbar. Doch bleibt die NATO-Mission ohne erkennbare Strategie zur Befriedung der Region. So kann ihre militärische Präsenz zwar ein Wiedererstarken der Terrororganisation verhindern. Doch zeigt das Beispiel der Taliban in Afghanistan, das asymmetrische Konflikte meist keinen eindeutigen Sieger hervorbringen. Die größere militärische Kraft ist zu einem gewissen Grad wirkungslos im Kampf gegen die Guerilla-Taktiken der Terroristen. Dies lässt vermuten, dass – ähnlich wie in Afghanistan die Taliban – auch der IS in den Untergrund gehen wird. Dem IS kann folglich nur durch einen politischen Prozess, in den alle Gruppen mit einbezogen werden, der Nährboden entzogen werden. Zudem muss einzelnen Regionen mehr Autonomie zugesprochen werden. 7) Vatican News: Irak: Wahl beeinflusst Flüchtlings-Rückkehr; Artikel vom 22.02.2018 8) bpb: Irak; Stand 03/2018
Zwischen den Peschmerga und der Zentralregierung besteht großes Konfliktpotential
Die einzig auf militärische Stärke und ohne Initiativen für eine politische Lösung ausgelegte zeitlich begrenzte Mission wird wohl angesichts der Sprunghaftigkeit, mit der sie betrieben wird, keine Stabilität bringen können. Der verteidigungspolitische Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion Tobias Pflüger betitelt das Konzept für den Bundeswehreinsatz in einem Land, in dem sich unterschiedliche Milizen gegenseitig bekämpfen, als unseriös und gefährlich. Besonders im Konflikt zwischen der kurdischen Autonomieregion (KRG) im Nordirak und der Zentralregierung in Bagdad kommt der Mission eine fragwürdige Rolle zu. Wurden bisher die Peschmerga des Autokraten Masud Barsani, dessen Clan in Erbil die Herrschaft innehat, von deutschen Soldaten ausgebildet, so will die Bundesregierung zudem deren militärischen Gegner, die Streitkräfte der zentralirakischen Regierung, ausbilden. „Dass man verschiedene Konfliktparteien ausbildet und mit Waffen ausrüstet, ist konfliktverschärfend und verbessert die Situation in keiner Weise.“, so Pflüger. 9) junge Welt: Groko macht mobil; Artikel vom 06.03.2018
Noch 2014 kämpften die kurdischen Peschmerga an der Seite der Zentralregierung gegen den IS. Mit Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums im September 2017 für den kurdischen Proto-Staat im Nordirak gehörte diese Partnerschaft schnell der Vergangenheit an. Die irakische Zentralregierung veranlasste, gegen die Peschmerga vorzugehen und ihnen die vom IS befreiten Gebiete zu entreißen. Was die Bundesregierung nun macht, ist, sich auf die Seite der irakischen Zentralregierung in Bagdad zu stellen, indem sie die Ausbildung der Peschmerga einschränkt und zusätzlich die irakische Armee ausbildet. Ursula von der Leyen betont zwar, eine Brückenfunktion zwischen Bagdad und Erbil einnehmen zu wollen, doch das Vorhaben signalisiert etwas anderes. Zudem sollten der Bundesregierung die Schwierigkeiten von Einsätzen wie diesen bewusst sein. So wurden Waffen, die sie 2014 an Barsanis Peschmerga zum Schutz der jesidischen Minderheit vor dem Islamischen Staat liefern ließen, Anfang 2017 von den Bündnispartnern in Erbil genau gegen diese Minderheit eingesetzt. Ein offenes Geheimnis ist auch, dass immer wieder deutsche Waffen auf dem Schwarzmarkt auftauchen und zum Teil in die Hände des IS gelangen. 10) junge Welt: Groko macht mobil; Artikel vom 06.03.2018 11) heise-online: Ohne Plan und Perspektiven: Mehr deutsche Soldaten für den Irak und Afghanistan; Artikel vom 06.03.2018 12) bpb: Irak; Stand 03/2018
Der ohnehin schon schwelende Konflikt zwischen Bagdad und den Kurden im Nordirak, sowie die im Mai stattfindenden Wahlen bei denen den schiitischen Hardlinern durchaus Sieg-Chancen zugerechnet werden, könnten das Land wieder in den Zustand eines Bürgerkrieges versetzen. Manch einer fühlt sich bei der NATO-Mission im Irak gar an den erfolglosen Einsatz in Afghanistan erinnert. Nicht nur deshalb ist die Bundesregierung, allen voran Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, eine ausführlichere Erklärung schuldig, was denn die Interessen und Ziele sind, die mit diesem Einsatz verfolgt werden. Die Mission lediglich unter dem Vorhaben der Stabilisierung und der Extremismusbekämpfung laufen zu lassen, ist hierbei zu vage. 13) heise-online: Ohne Plan und Perspektiven: Mehr deutsche Soldaten für den Irak und Afghanistan; Artikel vom 06.03.2018 14) Spiegel Online: Kabinett stimmt für neuen Bundeswehreinsatz im Irak; Artikel vom 07.03.2018
Fußnoten und Quellen:
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