Wie der Sturz Muammar al-Gaddafis durch die NATO eine humanitäre Katastrophe auslöste
Libyen ist bekannt als Haupttransitland für Flüchtlinge aus Afrika, die sich auf eine lebensgefährliche Überfahrt nach Europa begeben und war 2011 Schauplatz eines Krieges, infolgedessen mehrere 100 000 Menschen fliehen mussten. Das Land mit Mittelmeerküste, das seit dem Zusammenbruch des Gaddafi-Regimes ohne funktionierende staatliche Strukturen im Chaos versinkt, wurde 2011 von der NATO, legitimiert durch die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates, bombardiert. Die Folgen der Intervention wie auch deren völkerrechtlich fragliche Legitimität werfen zum wiederholten Male kein gutes Licht auf die eingreifenden NATO-Staaten. 1) Süddeutsche Zeitung: Amnesty gibt EU Mitschuld an Menschenrechtsverletzungen in Libyen; Artikel vom 12.12.2017 2) wikipedia.org: Bürgerkrieg in Libyen 2011; Stand 09.02.2018 3) Augsburger Allgemeine: Wer kann die Flüchtlinge in Libyen stoppen? Eine Analyse; Artikel vom 19. April 2016
Die NATO ergreift frühzeitig Partei für die Oppositionellen
Auslöser waren Demonstrationen und Proteste von Regierungsgegnern in verschiedenen libyschen Städten im Zuge des in Nordafrika und im Nahen Osten aufkeimenden Arabischen Frühlings im Februar 2011. Im Gegensatz zu den Protesten in Tunesien und Ägypten gingen die oppositionellen Gruppen in Libyen von Beginn an gezielt mit äußerster Gewalt gegen die lybischen Sicherheitskräfte vor. So setzten sie mehrere Polizei-Stationen, unteranderem in Zintan und al-baida, in Brand, woraufhin die Polizisten mit schwersten Verbrennungen ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Die Regierungsgegner griffen Vertreter des Staates sogar direkt an und provozierten so eine Eskalation der Situation.
Die undifferenzierte Berichterstattung westlicher Medien und von Al Jazeera über die Vorkommnisse in Libyen trugen maßgeblich dazu bei, das relativ schnell Forderungen einer Intervention der NATO laut wurden. In Berichten über das Geschehen im Land wurde die von Gaddafis Armee ausgeführte Gewalt übertrieben und die der Rebellen weitgehend übergangen. Besonders die damals von Al Jazeera ausgehende und von westlichen Medien ungeprüft übernommene Meldung, die libysche Regierung ließe mit Kampfflugzeugen auf die Demonstranten schießen, war Grundlage für die Forderung nach einer Flugverbotszone über Libyen und für eine Resolution des UN-Sicherheitsrates. Aus heutiger Sicht ist davon auszugehen, dass diese schreckliche Nachricht aus Libyen nicht stimmte. Die Rollenverteilung von Gut und Böse in den Köpfen von westlichen Politikern und Bevölkerung war jedoch spätestens durch diese Meldung abgeschlossen. Auf der einen Seite der böse Machthaber Gaddafi, der entschlossen sei, sein eigenes Volk abzuschlachten und auf der anderen Seite die nach Freiheit strebenden Rebellen. Der Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie Reinhard Merkel schrieb hierzu in einem Zeitungsartikel vom 22.03.2011: „Niemand durchschaut das dunkle Gemisch politisch-ideologischer Orientierungen unter den Rebellen derzeit auch nur annähernd.“ Er führt weiter aus: „die Annahme, die ihn (Gaddafi) bekämpfenden Rebellen seien eine Demokratiebewegung mit homogenen freiheitlichen Zielen, ist lebensblind.“ Trotzdem schlugen sich die Nato-Staaten uneingeschränkt auf die Seite der Rebellen. Was In Folge zu einem vorschnellen Eingriff in den Konflikt unter dem Vorwand einer humanitären Intervention führte. 4) Illegale Kriege: Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien.: Der illegale Krieg gegen Libyen; 2016
US-amerikanische und britische Sondereinheiten leiten den Krieg ein
Britische Medien berichteten sogar mit Verweis auf dem britischen Militär Angehörige, die USA und Großbritannien seien schon lange bevor der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1973 verabschiedete auf Seiten der Rebellen in Libyen aktiv gewesen. Mit der britischen Spezialeinheit Special Air Service (SAS), dem MI6 und dem US-amerikanischen Geheimdienst CIA zerstörten sie rund um die Hauptstadt Bengasi Boden-Luft-Raketen, die für Gaddafi wichtigste Waffe zur Bekämpfung von Kriegsflugzeugen. Dieser illegale Eingriff in den Konflikt, lange bevor der UN-Sicherheitsrat ein Mandat für den Krieg erteilte, war von enormer strategischer Wichtigkeit zur Einleitung eines Machtwechsels zugunsten der Rebellen in Libyen. 5) Illegale Kriege: Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien.: Der illegale Krieg gegen Libyen; 2016
Die NATO bevorzugt Bombardierung statt Diplomatie
Am 17. März 2011, also ziemlich genau einen Monat nach Ausbruch der Unruhen die in einem Bürgerkrieg mündeten, gab der UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 1973 den Weg für eine militärische Intervention frei. Ab dem 19. März begann dann allen voran die amerikanische, die britische und französische Armee Libyen zu bombardieren. Unterstützt wurden sie von neun weiteren NATO-Staaten. Somit waren von 28 NATO-Staaten zwölf Staaten am Libyen-Krieg beteiligt, obwohl von Libyen keine Aggressionen gegenüber einem der NATO-Mitglieder ausging. Die UN-Resolution 1973 bezog ihre Legitimation eigentlich daraus, Kriegsopfer zu vermeiden. Aufgrund der Tatsache dass sie den Intervenienten alle erforderlichen Mittel der Gewaltanwendung erlaubte war sie schon darauf ausgelegt missbraucht zu werden. Das Ziel, Zivilisten zu schützen fiel angesichts der starken Bombardierung Libyens durch amerikanische, britische sowie französische Kampfflugzeuge schnell hinter das, eines Regimewechsel zurück. Aufhorchen ließen auch die Waffenstillstands-Angebote Gaddafis, die von den Rebellen stets abgelehnt wurden, oder die Versuche der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union, den Konflikt auf diplomatischem Wege zu lösen. Doch diese Vermittlungsversuche stießen bei den Rebellen wie auch bei den beteiligten NATO-Staaten auf taube Ohren, stattdessen wurde weiter bombardiert, mit dem Ziel Gaddafi die Macht zu entreißen. 6) Illegale Kriege: Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien.: Der illegale Krieg gegen Libyen; 2016 7) Frankfurter Allgemeine Zeitung: Die Militärintervention gegen Gaddafi ist illegitim; Artikel vom 22.03.2011
Sicherlich schienen die Aussichten auf eine bessere Zukunft mit einem Ende der Diktatur-Gaddafi auch für die libysche Bevölkerung deutlich besser, jedoch reicht das zur Autorisierung eines Krieges durch den Sicherheitsrat nicht aus. Dieser darf die Berechtigung für einen Krieg nur erteilen, wenn er zur Wahrung oder Wiederherstellung der internationalen Sicherheit geführt werden muss, was in Libyen nicht der Fall war. Deshalb war es ob vorsätzlich oder fahrlässig ein vor allem von den alten Kolonialmächten Großbritannien und den USA, die in der Vergangenheit in dieser Region schon genug Unheil angerichtet hatten, völlig unverantwortlich und kurzsichtig geführter Krieg dessen Folgen nicht abzuschätzen waren. Was den eingreifenden Parteien von Beginn an hätte klar sein müssen, ist die Schwierigkeit, mit der ein demokratisches „State-Building“ in einem Staat, in dem nach mehr als 40 Jahren Diktatur ein externer Regimewechsel erzwungen wurde, einhergeht. 8) Zeit Online: Umsturz in Libyen: Der illegitime Triumph: Artikel vom 08.09.2011
Ein zerfallener Staat ohne Strukturen bleibt zurück
Tatsache ist, das der Krieg in Libyen mehr als 50.000 Opfer forderte und das in einem Krieg den der UN-Sicherheitsrat dadurch legitimierte, genau solche Opfer zu verhindern. Nach der Entmachtung Gaddafis und dem Zusammenbruch des Regimes blieb ein zerfallener Staat ohne Strukturen zurück. Es war nahezu unmöglich eine stabile Regierung auf die Beine zu stellen, stattdessen kämpften verschiedene Rebellengruppen mit unterschiedlichsten Interessen um die Vorherrschaft und stürzten das Land immer weiter ins Chaos, das bis heute anhält. Interessant hierbei ist auch, dass bereits kurz nach Ende der Intervention durch die NATO-Staaten und dem Ende des Krieges das Interesse der westlichen Medien am Land schnell zum Erliegen kam, und über Libyen kaum noch berichtet wurde. Dabei war in Folge des Krieges und der chaotischen Lage die Terrormiliz Islamischer Staat in Libyen aktiv geworden und konnte viele Kämpfer für sich gewinnen, teilweise schlossen sich auch ganze Rebellengruppen dem IS an, die zuvor noch von der NATO im Kampf gegen Gaddafi unterstützt wurden. 9) Augsburger Allgemeine: Wer kann die Flüchtlinge in Libyen stoppen? Eine Analyse; Artikel vom 19. April 2016 10) Zeit Online: Umsturz in Libyen: Der illegitime Triumph: Artikel vom 08.09.2011 11) welt.de; 50 000 Menschen im Kampf gegen Gaddafi getötet: Artikel vom 31.08.2011
Der Krieg verursacht Flüchtlingsströme
Besonders schlimm war die Situation für Menschen, die als Unterstützer Gaddafis galten und fliehen mussten, oder wenn sie bereits während des Konflikts geflohen waren nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten. Diejenigen, die es nicht schafften zu fliehen, wurden häufig in nichtstaatlichen Gefängnissen von Rebellen gefoltert und das nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem Stamm oder einer Ethnie denen Solidarität zu Gaddafi unterstellt wurde. Schon zu Beginn des Konflikts wurde auch schwarzafrikanischen Arbeitsmigranten vorgeworfen, als Söldner für die Regierung Gaddafi zu kämpfen, weshalb sie in den von Rebellen kontrollierten Territorien verfolgt, misshandelt und teilweise auch getötet worden sind. Nicht nur Arbeitsmigranten aus Afrika, sondern auch aus Asien ergriffen zu Tausenden die Flucht in das Nachbarland Tunesien. Von Tunesien aus aber teilweise auch direkt aus Libyen, machten sich allen voran afrikanische Flüchtlinge über das Mittelmeer auf nach Europa. Schon Ende April 2011, also noch weit vor Ende des Krieges waren es mehr als 30.000 Flüchtlinge die in Italien ankamen und Hunderte, die die Fahrt übers Mittelmeer nicht überlebten. Als direkte Folge des Krieges in Libyen kamen mehr Flüchtlinge über Libyen nach Europa als je zuvor. Hierfür war nicht nur die durch den Krieg vollkommen destabilisierte Lage Libyens, und die daraus resultierende schwache Staatsgewalt, die den für Europa wichtigen lybischen Grenzschutz trotz europäischer Unterstützung nicht mehr gewährleisten konnte verantwortlich, sondern der Krieg selbst hatte neue Fluchtursachen geschaffen. 12) wikipedia.org: Bürgerkrieg in Libyen 2011; Stand 09.02.2018 13) Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg: Der Militäreinsatz der Nato 2011 gegen Libyen – Humanitäre Intervention oder Mittel zur Durchsetzung von Interessen?; Stand 09.02.2018
Fußnoten und Quellen:
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