Äthiopien: Ethnischer Konflikt ausgebrochen – 200.000 bis 400.000 Binnenflüchtlinge
Seit September 2017 gibt es in Äthiopien eine Entwicklung, die gewaltig ist, über die aber bisher wenig in den europäischen Medien berichtet wurde. Die meisten internationalen Organisationen in Äthiopien sträuben sich aus Angst vor der Regierung dagegen, mit Medien zu sprechen. Inzwischen versucht die Regionalregierungen und verschiedene Interessensgruppen über das Erstarken der Unruhen mithilfe von Beschuldigungen, Leugnungen und Gegenbeschuldigungen hinwegzutäuschen, um einen politischen „Privatkrieg“ zu führen. Aufgrund des äthiopischen Vielvölkerstaates kommt es innerhalb der völkischen Regionalregierungen und der Zivilbevölkerung immer wieder zum Streit zwischen den Oromo, dem größten ethnischen Volk im Land (35 Millionen Menschen) und den Somali, die die drittgrößte Volksgruppe (6,5 Millionen Menschen) im Staat darstellen. Die Ursache des Konfliktes ist die Grenzregion (ca. 1.400 km) zwischen den Gebieten Oromia (angehörend dem Oromo-Volk) und Ogaden (angehörend dem Somali-Volk). Die gelegentlichen bewaffneten Auseinandersetzungen werden dort vor allem um Wasser und Weideland geführt und vornehmlich von Oromo-Bauern und Somali-Hirten ausgetragen. 1) Der Spiegel Online: Mehr als 20 Tote nach Kämpfen zwischen Oromos und Somalis; 26.11.2017 2) stol.it: Mindestens 20 Tote nach ethnischen Kämpfen in Äthiopien; nicht mehr verfügbar 3) irishtimes.com: Ethiopian`s ethnic violence displaces up to 400,000; 25.11.2017
Doch nun scheint die Lage seit dem September dieses Jahres komplett zu eskalieren: Nachdem zwei Oromo-Zivilisten an der Grenze der beiden Territorien von der Somali-Polizei (Liyou-Polizei) getötet wurden, gab es am 12. September 2017 mehrere Proteste von den Oromo in der Stadt Aweday, die zwischen der Region Harar und der Stadt von Dire Dawa liegt. Dabei kam es zu einem Gewaltausbruch, bei dem bis zu 40 Menschen getötet wurden. Demnach begannen einheimische Oromo-Männer in der Region Oromia ethnische Somalis aus ihren Häusern zu vertreiben und ihnen zu drohen, sie zu töten, wenn sie es nicht täten: „Davor waren wir Freunde, aber dann haben sie plötzlich gesagt: ‚Ihr seid Somalis, ihr könnt in unserem Heimatland nicht bleiben’”, sagte einer der somalischen Männer, der aus der Harerghe Ostzone des Gebiets von Oromia geflohen ist. „Der Fluss war überschwemmt, als wir ihn durchquert haben und hatte unsere Kleidung und unseren Besitz mitgerissen – wir haben alles verloren.” 4) irishtimes.com: Ethiopian`s ethnic violence displaces up to 400,000; 25.11.2017
Zur gleichen Zeit begann die Somali-Regionalregierung durch eine „Wie du mir, so ich dir – Gewalt“, mithilfe der Somali-Polizei, die Oromo durch gerichtlich angeordnete Zwangsräumungen aus ihrer eigenen Wohnung bzw. ihrem eigenen Grundstück „friedlich“ auszuweisen, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Diese Schilderung der Somali-Regionalregierung wird allerdings von den Oromo sehr stark angefochten. Hussein Mohammed (28), ein Oromo, der mit seiner Frau und seinen drei Kindern in ein Camp in Dire Dawa geflohen ist berichtet über das, was er wirklich gesehen hatte und was passiert war: „Jemand hatte mir gesagt, dass die Polizei gleich kommen würde, um uns unsere Kehlen durchzuschneiden. Darum sind wir aus Angst geflohen. Bei unserer Flucht sah ich anschließend etwa 50 herumliegende Leichen im Dorf.“ Diese Vertreibungen haben ganze Gemeinschaften auseinandergerissen, die davor nebeneinander seit Jahrhunderten friedliebend integriert gelebt hatten. Sogar Mischehen zwischen Oromo und Somali waren vor diesem Zeitpunkt eigentlich eine Norm. Zahala Shekabde, eine Somali, die mit einem Oromo verheiratet ist/war, sagt: „Ich habe wie gewohnt am Abend meinem Mann das Essen zubereitet, aber etwa eine Stunde, nachdem er von der Arbeit zurückgekehrt war, hatte er mich aus unserem Haus rausgeschmissen. Ich habe ihn flehentlich gebeten, habe ihm gesagt, dass ich ihn geliebt habe, und dass ich nichts anderes mehr habe. Aber er hatte gesagt, dass er es nicht hören will und ich jetzt sofort gehen muss, sonst würde er mich verletzen.“ 5) irishtimes.com: Ethiopian`s ethnic violence displaces up to 400,000; 25.11.2017
Schätzungen zufolge starben bei den Auseinandersetzungen allein in der vorletzten Woche mindestens 20 Menschen. Die Zentralregierung hatte erst im November reagiert und daraufhin zusätzliche Soldaten in der Konfliktregion stationiert. Das Wiederaufflammen der bereits im September ausgebrochenen Krise konnte das aber nicht verhindern. Kurzfristig sagte die Zentralregierung, dass man etwaige Schritte unternehme, um die Situation zu entschärfen. Dem äthiopischen Informationsminister Negeri Lencho zufolge wurden schon insgesamt 103 Menschen in dem Krisengebiet festgenommen, die sich an der brutalen Gewalt beteiligt hatten. 98 davon stammen aus der Region Oromia und fünf aus Äthiopisch-Somalia. 24 weitere Personen, die sich auf somalischer Seite am Konflikt beteiligt hatten, befinden sich auf der Flucht. Nach ihnen wird gefahndet. Die Zentralregierung geht schleppend voran, doch sie tut „etwas“. Dagegen sieht es bei der Regionalregierung von Äthiopisch-Somali anders aus. Oromo werfen ihr vor, nicht nur absichtlich zurückhaltend gegen somalische Gewalttäter vorzugehen, sondern sich über regionalstaatlich geförderte Paramilitärs sogar daran zu beteiligen. 6) heise.de: Krisenhorn von Afrika; 28.11.2017
Schätzungen zufolge variiert die Anzahl aller Vertriebenen seit dem Ausbruch des ethnischen Konfliktes zwischen 200.000 und 400.000 Menschen. Tendenz stark steigend. Es ist eine der größten gewaltsamen Vertreibungen im Staat Äthiopien in der heutigen Gegenwart. Zwar bestehen schon lange im ländlichen Hinterland Auseinandersetzungen zwischen den zwei Regionen (Oromia und Ugaden). Doch ein solches Ausmaß an Gewalt, und das in den städtischen Gebieten der strittigen Grenze, die auch in einem weit entfernten Bereich liegen und vom ständigen Streit gut geschützt sind, ist bis jetzt sehr selten gewesen. Der Kern des Konfliktes ist schwer auszumachen, da die Streitigkeiten schon sehr lange existieren. Jedoch gab es im Jahr 2004 ein Referendum, das das Schicksal von mehr als 420 rundherum um die Grenze gelegener, sogenannter „Kebeles“, entschieden hatte, und schlussendlich rund 80 Prozent dieser der Region Oromia übergab. Ein „Kebele“ (amharisch ቀበሌ qäbäle) besteht meist nur aus einer Dorfeinheit und ist die kleinste Art eines Verwaltungsbezirkes in Äthiopien. Dabei bilden mehrere Kebeles zusammen eine Woreda (Distrikt). Die Verwaltung eines Kebele ist durch die Ortsräte organisiert. Insgesamt gibt es ungefähr 10.000 Kebele im ganzen Staat. Dementsprechend hatten die Oromo seit diesem Jahr Gebiete für sich gewinnen können, was andere (Somali-Regionalregierung) wiederrum bis heute sehr stark verärgert. Das Ergebnis des Referendums als den „kompletten Kern“ des Konfliktes zu betrachten, ist umstritten. Denn bis heute fordern die Oromo immer noch von der Zentralregierung in Addis Abeda, das Ergebnis der Volksabstimmung endlich umzusetzen. Der Gewinn der Oromo steht zwar fest, dass Resultat fehlt aber. Es könnten nämlich andere Faktoren diesen verheerenden plötzlichen Gewaltausbruch erklären, zum Beispiel die derzeitige Insektenplage und die Überflutungen. 7) irishtimes.com: Ethiopian`s ethnic violence displaces up to 400,000; 25.11.2017 8) Wikipedia: Kebele; 10.04.2014 9) hornaffairs.com: Ethiopia: ethnic clashes, floods displaced 250,000 people from Oromia, Somali regions; 30.09.2017 10) heise.de: Krisenhorn von Afrika; 28.11.2017
Der wichtigste historische Hauptgrund könnte allerdings an anderer Stelle liegen: Im Zuge des italienischen Kolonialismus bzw. des italienischen Expansionsdranges hatte der italienische Diktator Mussolini Äthiopien (damaliges Kaiserreich Abessinen) am 02. Oktober 1935 den Krieg (Abessinenkrieg) erklärt. Mit einem massiven und systematischen Einsatz von Giftgas sowie Massenerschießungen, bei denen bis 1941 zwischen 350.000 und 760.000 Äthiopier ums Leben kamen, gelang es dem Diktator ein System der Rassentrennung einzuführen, das gewisse Ähnlichkeiten mit der Apartheid in Südafrika aufwies. Die italienische Herrschafft in Äthiopien war zwar ganz kurz (1936 bis 1941), dennoch hatte sie das Land gespalten und entsprechend geprägt, und sehr wahrscheinlich Menschen dazu ermutigt, es in ihrer eigenen Art und Weise nachzumachen. Denn die italienische Besatzungsmacht war eine Minderheit in Äthiopien. Die Regierung Äthiopiens besteht zwar aus einer Parteikoalition unter dem Namen „Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker“ (EPRDF), die von den folgenden Parteien gebildet wird: der Demokratischen Organisation des Oromovolkes (OPDO) in Oromia, der National-Demokratischen Bewegung der Amharen (ANDM) in Amhara, der Demokratischen Front der Südäthiopischen Völker (SEPDF) in der Region der südlichen Nationen, Nationalitäten und Völker und der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF). Doch die TPLF ist die führende Partei, vertritt aber das Volk Tigray, das im Staat lediglich nur 6,1 Prozent (4,5 Millionen) der Gesamtbevölkerung ausmacht. Wahrscheinlich hat es sich die Partei zur heimlichen Aufgabe gemacht, Mehrheiten im Land durch herbeigeführte ethnische Konflikte zu Minderheiten umzuwandeln bzw. damit Gebiete für die Volksminderheit Tigray zu erobern. Die Partei hatte seit der Einführung des „ethnischen Föderalismus“ ganz klar sehr stark an Macht gewonnen. Und die von der TPLF geführte Zentralregierung greift nicht in den Konflikt ein, lässt aber die Somali-Regionalregierung machen, was sie will. Manche äthiopische Oppositionspolitiker sehen einen Zusammenhang und glauben an „inszenierte Handlungen“ der Partei im Konflikt. Zu erwähnen ist, dass die TPLF laut der internationalen Organisation „TRAC“ (Terrorism Research & Analysis Consortium), die zu einer der besten Kompendien der Informationen und Analysen von Terroristengruppen und Tätigkeiten in der Welt zählt, als ein „Täter“ in der „Global Terrorism Database“ aufgeführt wurde. 11) Wikipedia: Äthiopien; 28.11.2017 12) Wikipedia: Volksbefreiungsfront von Tigray; 26.10.2017 13) Wikipedia: Tigray; 17.01.2016 14) borkena.com: Somali Oromo conflict: Displaced Oromos to return to Somali region; 03.11.2017 15) trackingterrorism.com: Tigray Peoples Liberation Front
Fußnoten und Quellen:
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