Wie Mädchen daran gehindert werden, eine Schule zu besuchen
„In unserer Schule waren zwei Bomben deponiert“, sagt die 16-jährige Malalai, als sie von einem Anschlag auf ihre Schule in der afghanischen Provinz Nangarhar im Januar 2016 berichtet. Das Mädchen erzählt auch von dem Brief, den die Taliban nach der Attacke auf dem Schulhof hinterlassen hatten. „Sie sagten, sie hätten die Bomben in die Schule gebracht, weil unsere Eltern aufhören sollen, uns Mädchen zur Schule zu schicken“. 1) Human Rights Watch: War is Driving Girls Out of School; 27.11.2017
Die Schule in Nangarhar ist eine unter vielen – mehr als dreihundert wurden Ende letzten Jahres in Afghanistan angegriffen, hauptsächlich von den Taliban. Die Vereinten Nationen dokumentierten in dem Land über 1000 Angriffe auf Bildungseinrichtungen zwischen 2009 und 2012. Darunter fallen die Niederbrennung von Schulen, Selbstmordattentate, Bomben sowie die Bedrohung, Entführung und Ermordung von Schulpersonal. Allein im Jahr 2016 wurden über 210 Mädchenschulen geschlossen und infolgedessen fast 51 000 Schülerinnen der Zugang zu Bildung verwehrt. Die Attacken richten sich häufig gezielt gegen die Bildung von Mädchen. Drohbriefe, die landesweit verteilt werden, rufen ganze Gemeinden dazu auf, ihre Töchter nicht zur Schule zu schicken. Sie fordern von der Regierung und von den Lehrern, Schulen zu schließen, insbesondere Mädchenschulen. 2) TheirWorld.org: 10 countries where girls‘ education has been under attack; 10.03.2017 3) Human Rights Watch: The War for Girls‘ Education. Losing the War for Girl’s Education in Afghanistan; Stand vom 29.11.2017
Afghanistan ist eines von mindestens zehn Ländern, welches in den letzten Jahren mit gezielten Angriffen gegen die Bildung von Mädchen konfrontiert war. Auch Indien, Irak, Mali, Nigeria, Pakistan, Somalia, Syrien, Uganda und Yemen sind betroffen. In all diesen Ländern stehen Mädchen beim Zugang zu einer Ausbildung Hindernissen gegenüber – und das einzig und allein, weil sie Mädchen sind. Selbst wenn die Angriffe auf Bildung sie nicht direkt angehen, leiden sie trotzdem überproportional unter den Folgen. Militäreinsätze in Schulen sowie Kreuzfeuer und die Anwesenheit von Soldaten in und in der Nähe von Bildungseinrichtungen betreffen sowohl Jungen als auch Mädchen. Die Eltern sind jedoch weniger tolerant, wenn sie ihre Töchter unter diesen Umständen zur Schule schicken sollen. Sie werden während gewaltsamer Konflikte viel häufiger gezielt von bewaffneten Gruppen angegriffen, eingeschüchtert, entführt oder sexuell belästigt. In Somalia wurden im Jahr 2010 Mädchen aus Schulen verschleppt, um Frauen von Kämpfern der islamistischen Terrorgruppe Al-Shabaab zu werden. Viele Mädchen berichten, dass ihre Eltern sie aus Angst ungern aus dem Haus gehen lassen. Und selbst wenn Eltern ihre Töchter in die Schule schicken möchten, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass dort keine Lehrer anzufinden sind. Im Nordosten Nigerias, wo Aufständische der islamistischen Terrorgruppierung Boko Haram immer wieder Anschläge verüben, wurden seit 2009 mindestens 611 Lehrer getötet und 19 000 zur Flucht gezwungen. 4) TheirWorld.org: 10 countries where girl’s education has been under attack; 10.03.2017
Wenn Mädchen der Schulbesuch verwehrt bleibt, hat das immense Auswirkungen auf ihr späteres Leben. Ihre Zukunft kann dadurch irreparabel geschädigt werden, das Risiko von Kinderheirat und Kinderarbeit erhöht sich.
Die Angriffe gegen die Bildung von Mädchen wurden in den letzten Jahren zu einer strategischen Waffe im Krieg. Auch wenn sich Name und Region der extremistischen Gruppen unterscheiden, haben viele das gleiche Ziel. Sie möchten Frauen durch brutalste Maßnahmen den Zugang zu Bildung und Gesundheitsdiensten verwehren und ihre Teilhabe am wirtschaftlichen und politischen Leben einschränken. Dieser fundamentalistische Konservatismus ist eine Agenda, die von Extremisten aller Religionen geteilt wird und deren Bemühungen sich unweigerlich auf die Unterdrückung der Frauenautonomie richten. Im Fokus steht die Rückkehr zu abgegrenzten, veralteten Geschlechterrollen. Mädchen beziehungsweise Frauen sollen zu Hause bleiben und sich um die Kinder kümmern. Sie sollen den Ehemann versorgen und müssen dafür weder lesen noch schreiben können. Die islamistische Terrorgruppierung Boko Haram veranschaulicht das recht gut. Übersetzt bedeutet ihr Name „Bücher sind Sünde“ beziehungsweise „Westliche Bildung verboten“. 5) Foreign Policy: Argument. Women Are the Best Weapon in the War Against Terrorism; 10.02.2015
Gebildete Frauen gehören mit zur Basis von belastbaren und stabilen Gesellschaften – Gesellschaften, die Radikalisierungen standhalten können. Der Soziologe Zeinabou Hadari, der sich seit mehr als zwei Jahrzehnten für die Förderung von Frauenrechten einsetzt, sagte einmal, dass jeder Schritt in Richtung Frauenrechte auch ein Schritt im Kampf gegen den Fundamentalismus sei. Vor 15 Jahren verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1325 zur Bedeutung der Beteiligung von Frauen in allen Bereichen des Friedens und der Sicherheit, einschließlich Konfliktprävention, Konfliktlösung sowie Friedenskonsolidierung. Dieser Meilenstein war das Ergebnis jahrzehntelangen Engagements, das in dem revolutionären Gedanken gipfelte, dass Frieden untrennbar mit der Gleichstellung von Frauen und Männern verbunden ist. Beweise auf der ganzen Welt zeigen, dass sich das Empowerment von Frauen positiv auf das Wirtschaftswachstum, die soziale und politische Stabilität sowie den nachhaltigen Frieden auswirkt. 6) Foreign Policy: Argument. Women Are the Best Weapon in the War Against Terrorism; 10.02.2015
Fußnoten und Quellen:
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