Myanmar: Amnesty International spricht von jahrzehntelanger Diskriminierung und Ausgrenzung der Rohingya
Jahrzehntelange systematische Diskriminierung und Ausgrenzung der Rohingya – zu diesem Ergebnis kommt Amnesty International in ihrem am Dienstag veröffentlichten Bericht „Caged without a roof: Apartheid in Myanmar´s Rakhine State“.
Der Bericht beschreibt detailliert, wie die Jahre der Verfolgung zu der aktuellen Krise geführt haben, die im Sommer 2017 in ethnischen Säuberungen durch die myanmarische Armee gipfelte und seither mehr als 620 000 Frauen, Männer und Kinder zur Flucht ins benachbarte Bangladesch zwang. Im Zeitraum von November 2015 bis September 2017 wurden über 200 Interviews im Rakhine-Staat geführt und relevante Gesetze, Verordnungen, Berichte sowie Fotos und Filmmaterial ausgewertet. 1) Amnesty International: Caged without a roof: Apartheid in Myanmar´s Rakhine State; Published in 2017
„Die Rohingya in Myanmar werden in allen Teilen ihres Lebens unterdrückt und zu Menschen zweiter Klasse gemacht. Myanmars Machthaber haben über drei Jahrzehnte ein System der institutionalisierten Diskriminierung und Segregation geschaffen, das es Angehörigen der Rohingya verbietet, sich frei zu bewegen und ihnen den Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung verwehrt“, sagt Anika Becher, Asien-Expertin bei Amnesty International. Die Repression habe besonders in den letzten fünf Jahren massiv zugenommen. 2) Amnesty International: Rohingya bereits seit Jahrzehnten systematisch diskriminiert und ausgegrenzt; 21.11.2017
Die mehrheitlich muslimischen Rohingya leben bereits seit vielen Generationen im Rakhine-Staat in Myanmar. Sie stammen von indischen Arbeitsmigranten ab, welche während der britischen Kolonialzeit von einer Provinz des Imperiums in die nächste wanderten. Sowohl Indien als auch Teile Myanmars gehörten in dieser Zeit zu Britisch-Indien. Im buddhistisch geprägten Myanmar werden sie jedoch bis heute nicht anerkannt. Das 1982 eingeführte Staatsbürgerrecht beschränkt die Vollbürgerschaft auf Ethnien, die vor 1824, also vor dem Beginn der britischen Kolonialherrschaft, im Land ansässig waren. Aus diesem Grund sind die Rohingya auch heute noch staatenlos. Der Bericht legt dar, dass das geltende Bürgerschaftsrecht schon in seinen Grundzügen rassistisch ist, da es verschiedene „Klassen“ von Bürgern vorsieht, von denen manche mehr Rechte besitzen als andere. An die Staatsbürgerschaft werden zudem weitere Rechte geknüpft, welche den Rohingya durch die Staatenlosigkeit verwehrt bleiben. 3) University of Minnesota. Human Rights Library: International Conventeion in the Suppression and Punishment of the Crime of Apartheid, G.A. res. 3068, entered into force July 18, 1976. The States Parties to the present Convention; Stand vom 22.11.2017 4) Medico International: Rohingya auf der Flucht. Die Verachteten; 07.09.2017
Seit 2012 wurde besonders das Recht auf Freizügigkeit massiv eingeschränkt. „Der Bundesstaat Rakhine ist für die dort lebenden Rohingya wie ein Gefängnis unter freiem Himmel. Sie leben zusammengepfercht und von der Außenwelt abgeschnitten. Teilweise dürfen Rohingya ihren Wohnort nur mit Genehmigung verlassen oder ausschließlich andere muslimische Dörfer aufsuchen. Zum Teil sind ganze Straßen für sie gesperrt“, sagt Becher. 5) Amnesty International: Rohingya bereits seit Jahrzehnten systematisch diskriminiert und ausgegrenzt; 21.11.2017
Die Einschränkungen auf die Bewegungsfreiheit und die willkürliche Politik der Ausgrenzung haben auch einen erheblichen Einfluss auf das Recht auf Bildung, Arbeit und Gesundheitsversorgung. In lokale Krankenhäuser wird den Rohingya häufig erst nach langen Verzögerungen Eintritt gewährt und das beste Hospital in Rakhine dürfen sie nur in extremen Notfällen betreten. Dort werden sie in separaten Bereichen für Muslime behandelt und währenddessen polizeilich bewacht. Seit 2012 wird vielen muslimischen Kindern außerdem der Zugang zu Bildung verwehrt. Häufig wird Lehrern der Besuch von Schulen in Rakhine nicht genehmigt oder sie weigern sich, dort zu unterrichten. An staatlichen Universitäten dürfen sie nicht studieren. Der Bericht zeigt auch, dass die Minderheit von Handelsrouten und Märkten ausgeschlossen wird und kaum noch in der Lage ist, für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Mangelernährung und ein Leben in extremer Armut sind für die Menschen in Rakhine zur Normalität geworden. 6) Amnesty International: Caged without a roof: Apartheid in Myanmar´s Rakhine State; Published in 2017
„Das systematische Vorgehen von Myanmars Behörden gegen die Rohingya entspricht in allen Punkten der juristischen Definition von Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, so Becher. „Myanmars Behörden müssen das System der Apartheid beenden, alle Gesetze aufheben, mit denen die Rohingya unterdrückt werden und Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen“. 7) Amnesty International: Rohingya bereits seit Jahrzehnten systematisch diskriminiert und ausgegrenzt; 21.11.2017
Bei Apartheid handelt es sich um ein international definiertes Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Definition entstand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts während des Kampfes gegen die Diskriminierung von bestimmten Bevölkerungsgruppen in Südafrika. Heute wird der Begriff in mehreren völkerrechtlichen Verträgen auch auf vergleichbare Zustände außerhalb Südafrikas angewendet. Im Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wird das Apartheid-Verbrechen definiert als „unmenschliche Handlungen […], die von einer [ethnischen] Gruppe im Zusammenhang mit einem institutionalisierten Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer anderer [ethnischer] Gruppen in der Absicht begangen werden, dieses Regime aufrechtzuerhalten“. 8) Amnesty International: Rohingya bereits seit Jahrzehnten systematisch diskriminiert und ausgegrenzt; 21.11.2017; 21.11.2017 9) UN-Rassendiskriminierungskonvention: Segregation und Apartheid; Stand vom 22.11.2017
Handlungen, die in diesem Zusammenhang unter die Definition von Apartheid fallen und demzufolge verboten sind, reichen von Gewalttaten wie Mord, Folter und Vergewaltigung bis hin zu Gesetzen, Verwaltungshandeln und anderen Maßnahmen, „die geeignet sind, einer [ethnischen] Gruppe die Teilhabe am politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben des Landes zu verwehren“ und ihnen „grundlegende Menschenrechte und Freiheiten“ zu verweigern (Anti-Apartheid-Konvention, Artikel 2 c). 10) United Nations – Treaty Series: No. 14861. Multilateral. International Convention on the Suppression and Punishment of the Crime of Apartheid. Adopted by the General Assembly of the United Nations on 30 November 1973; Stand vom 22.11.2017 11) Amnesty International: Caged without a roof: Apartheid in Myanmar´s Rakhine State; Published in 2017
In Myanmar ist nahezu jede staatliche Institution in die Diskriminierung und Ausgrenzung der Rohingya-Gemeinschaft involviert. Als eindeutiges Beispiel für Maßnahmen seitens der Behörden, die unter das Verbrechen der Apartheid fallen, führt Amnesty International die erhebliche Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Rohingya im Bundesstaat Rakhine auf. Diese könne als eine „schwerwiegende Beraubung der körperlichen Freiheit“ gemäß dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs eingestuft werden. Auch die im August 2017 von der myanmarischen Armee begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Morde, die Folterungen und Vergewaltigungen, die gewaltsamen Vertreibungen und die anderen unmenschlichen Handlungen waren weitere Verbrechen, die unter die Apartheid fallen. Der Staat habe die Diskriminierung häufig eher gefördert als angefochten, so die Menschenrechtsorganisation. Bezug nehmend auf die Rolle des Militärs in Myanmar betont sie im letzten Teil des Reports, dass letztendlich viele der Ministerien und Abteilungen, die für die Verbrechen verantwortlich sind, nicht unter der Kontrolle der Zivilverwaltung, sondern den Militärbehörden unterstellt seien. Präsidentin Aung San Suu Kyi und ihre zivile Führung können zwar nach Lösungen für die momentane Situation suchen, jedoch sei ohne die Unterstützung oder zumindest die Zustimmung des Militärs kaum eine Verbesserung der Lage möglich. 12) Amnesty International: Caged without a roof: Apartheid in Myanmar´s Rakhine State; Published in 2017
Fußnoten und Quellen:
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