Drohende humanitäre Katastrophe in Flüchtlingscamps: Rückkehr der Rohingya gilt als einzige Perspektive
Die gewaltsame Vertreibung der Rohingya aus Myanmar seit August dieses Jahres stellt die schwerste Flüchtlingskatastrophe der vergangenen Jahrzehnte dar. Mehr als 600.000 Menschen der muslimischen Minderheit, die Hälfte davon Kinder, sind seit diesem Monat aus dem Land in den Süden von Bangladesch geflohen, und es kommen täglich viele Menschen hinzu. Zunächst war eine gewisse Sicherheit in den dortigen Flüchtlingscamps vorzufinden, da die Regierung und das Militär von Bangladesch die Aufnahme der Geflohenen bereitwillig und gut koordinieren. Doch es zeichnet sich langsam eine humanitäre Krisensituation ab, die vielen Geflüchteten, vor allem Kindern, zum Verhängnis werden könnte. 1) Deutsche Welle: Caritas-Sprecher: „Rückkehr ist die einzige Perspektive für Rohingya“; 05.11.2017
Bangladesch zählt zu den ärmsten und gleichzeitig am dichtesten besiedelten Ländern der Welt. Sanitäre Verhältnisse und die allgemeine Versorgungslage sind in der ohnehin schon armen Region prekär. Der Leiter der Hilfsorganisation Caritas International, Oliver Müller, berichtet über die derzeitigen Zustände in den Flüchtlingslagern bzw. die Situation der Menschen nach seiner Reise nach Bangladesch, die er, um weitere Hilfe für die Geflüchteten planen und umsetzen zu können, getätigt hatte: 2) Deutsche Welle: Caritas-Sprecher: „Rückkehr ist die einzige Perspektive für Rohingya“; 05.11.2017
„Zunächst ist auffällig, dass der Flüchtlingsstrom immer noch nicht aufgehört hat. Allein in den letzten zwei Tagen sind etwa 3000 Menschen neu angekommen. Sie sind völlig erschöpft, einige Familien berichten von fünf Tagen Flucht, auf der sie praktisch alles zurücklassen mussten, was sie einmal besaßen. Auffällig ist aber auch die Ruhe in den Lagern. Man hat den Eindruck, die Menschen sind erst einmal sehr froh, in Sicherheit zu sein. Mit der Situation, die sie in den Lagern erwartet, haben sie sich noch gar nicht wirklich beschäftigt:
Die Menschen leben in Plastikhütten, die von Bambusstäben gehalten werden. Man mag sich nicht ausmalen, was geschieht, wenn ein Wirbelsturm aufkommt. Die sanitären Verhältnisse sind schlecht, um nicht zu sagen: katastrophal: Plumpsklos normaler Bauart stehen zu nah an Wasserstellen. Das birgt ein großes Risiko. Ein Gesundheitsexperte sagte mir heute Morgen, dass rund drei Viertel aller Flüchtlinge Durchfallerkrankungen haben, die sie sich durch schlechte Ernährung schon auf der Reise oder durch Infektion im Lager zugezogen haben.“ 3) Deutsche Welle: Caritas-Sprecher: „Rückkehr ist die einzige Perspektive für Rohingya“; 05.11.2017
Müller beschreibt, was akut in dieser Situation getan werden muss und wie seine Organisation entsprechende Hilfe leistet:
„Zum einen benötigen wir zusätzliche Ernährung vor allem für Babys, Kleinkinder und stillende Mütter. Zum anderen ist es wichtig, die Notunterkünfte zu verbessern, nicht nur um den Menschen eine bessere Behausung zu bieten, sondern auch um sie vor Krankheiten zu schützen. Unter den wenigen Dingen, die die Flüchtlinge mitgebracht haben, sind teilweise kleine Solarmodule, mit denen sie nachts zumindest etwas Licht haben. Aber damit sich ein Alltag in den Lagern einspielen kann, müssen wir Hilfsorganisationen noch viel leisten.
Wir haben mit der Hilfe von Caritas Bangladesch circa 30.000 Menschen mit Lebensmitteln versorgt. Nun hat aber die Regierung entschieden, dass die Lebensmittelhilfe aus Mitteln des World Food Program über ihre Strukturen abläuft. Das ist so weit in Ordnung, es gibt genügend andere Aufgaben: die Verbesserung der Unterkünfte, die Versorgung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen, die Trinkwasserversorgung. Wir haben Kochgeschirr verteilt, das ist sehr wichtig für die Selbstversorgung. Es geht also nach wie vor um Grundlegendes.“ 4) Deutsche Welle: Caritas-Sprecher: „Rückkehr ist die einzige Perspektive für Rohingya“; 05.11.2017
Der Leiter von Caritas International lobt die bisherige Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, weist aber auf mögliche drohende Einschränkungen des finanziellen Beistandes auf. Eine klare Aussage macht er hingegen zu der Zukunftsperspektive der Rohingya in Bangladesch:
„Die internationale Geberkonferenz hat recht gute Ergebnisse gebracht. Aber im ersten halben Jahr ist es relativ leicht, Hilfen zu bekommen. Wenn die Krise erst einmal eine unter vielen ist, wird man schnell allein gelassen.
Nicht nur deshalb muss auf dem diplomatischen Parkett alles dafür getan werden, den Rohingya eine Rückkehr zu ermöglichen. Das mag momentan nicht sehr wahrscheinlich aussehen. Aber Bangladesch will diesen Menschen aus verschiedenen Gründen wohl nicht erlauben, die Lager zu verlassen und in das Land zu migrieren. Das ist für die meisten momentan akzeptabel, weil sie erst einmal zu Kräften kommen müssen. Aber wenn man an die vielen Kinder und Jugendlichen denkt – die haben zunächst einmal überhaupt keine Perspektive. Und wenn man die Verhältnisse vor Ort sieht, wird klar, dass eine Rückkehr die einzige wirkliche Perspektive für die Rohingya ist.“ 5) Deutsche Welle: Caritas-Sprecher: „Rückkehr ist die einzige Perspektive für Rohingya“; 05.11.2017
Die UNICEF ist in diesem Zusammenhang alarmiert von der sich ausbreitenden Mangelernährung bei Rohingya-Kindern. In dem Kutupalong-Flüchtlingslager im Distrikt Cox’s Bazar, das im Südosten Bangladeschs liegt, stellte das Kinderhilfswerk nach einer Stichprobenuntersuchung vom letzten Freitag fest, dass 7,5 Prozent der dortigen Kinder lebensbedrohlich unterernährt sind. 405 Haushalte hatte UNICEF für das erstellte Gutachten über die Ernährungssituation untersuchen lassen. Zwei weitere Gutachten sollen im November für andere Lager erstellt werden. Momentan behandelt die Organisation mit ihren Partnern 2.000 akut unterernährte Kinder in 15 Gesundheitszentren. Außerdem würden derzeit sechs weitere Zentren errichtet. Insgesamt gesehen leiden ein Viertel der geflohenen Kinder in Bangladesch an akuter Unterernährung, das berichtet die Hilfsorganisation Save The Children. 6) unsertirol24.com: UNO warnt vor Mangelernährung bei Rohingya-Kindern; 03.11.2017 7) Frankfurter Neue Presse: Suu Kyi schweigt auch in Rakhine zur Gewalt gegen Rohingya; 02.11.2017
In diesem einen Camp in Cox’s Bazar leben 26.000 der Flüchtlinge auf engstem Raum. Wegen der unhygienischen Lebensbedingungen sind dort außer den Durchfallerkrankungen auch Atemwegserkrankungen keine Seltenheit mehr, die Trinkversorgung ist zudem sehr schlecht.
Der UNICEF-Vertreter in Bangladesch, Edouard Beigbeder, warnt: „Diese Kinder haben den Horror in Rakhine und die gefährliche Reise hierher überlebt. Nun laufen sie Gefahr, an einer vollkommen vermeidbaren und behandelbaren Ursache zu sterben.“ 8) unsertirol24.com: UNO warnt vor Mangelernährung bei Rohingya-Kindern; 03.11.2017
Die Eskalation des Konflikts (August 2017) zwischen der mehrheitlich buddhistischen Bevölkerung und der muslimischen Minderheit basiert auf den Angriffen der Rohingya-Rebellen, die auf Polizisten, Soldaten und Sicherheitskräfte gerichtet waren. Gleich darauf reagierte das Militär mit brutaler Gegengewalt, brachte hunderte Rohingya um und brannte ihre Häuser nieder. Die Vereinten Nationen stuften dieses Vorgehen der Streitkräfte demnach als eine ethnische Säuberung ein. 9) unsertirol24.com: UNO warnt vor Mangelernährung bei Rohingya-Kindern; 03.11.2017
Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die de facto die Regierung in dem südostasiatischen Land führt, wurde mehrfach für ihr Schweigen zu den brutalen Eingriffen des Militärs stark kritisiert. Anfang November 2017 reiste sie unangekündigt in das Krisengebiet Rakhine in Myanmar, um sich einen Blick über die Lage zu verschaffen. Sie besuchte dafür das Dorf Pan Taw Pyin im Norden von Rakhine, schwieg aber auch auf dem Weg dahin zu den Vorfällen. Zwar hatte sie laut einem Rohingya-Bewohner mitgeteilt, dass die Häuser wieder aufgebaut werden würden, doch wurden bestimmte Bewohner dafür ausgewählt, mit Suu Kyi zu sprechen, teilte er weiter mit. 10) Frankfurter Neue Presse: Suu Kyi schweigt auch in Rakhine zur Gewalt gegen Rohingya; 02.11.2017
Die muslimischen Rohingya gelten als eine der am meisten verfolgten Minderheiten weltweit. Die buddhistische Mehrheit in Myanmar betrachtet sie als illegale Einwanderer aus Bangladesch, obwohl viele Rohingya schon seit Generationen dort leben. Dennoch hat Myanmar ihnen Anfang der 1980er Jahre die Staatsbürgerschaft aberkannt. Die Staatenlosigkeit der Rohingya ist einer der wichtigsten Gründe, warum sie nicht nach Myanmar zurückkehren wollen. Sie fordern von Suu Kyis Regierung eine myanmarische Staatsbürgerschaft bei ihrer Rückkehr. 11) unsertirol24.com: UNO warnt vor Mangelernährung bei Rohingya-Kindern; 03.11.2017 12) Frankfurter Neue Presse: Suu Kyi schweigt auch in Rakhine zur Gewalt gegen Rohingya; 02.11.2017
Fußnoten und Quellen:
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