Sudans turbulente Kolonialzeit legt Grundstein für heutigen Konflikt
Der seit dem Jahr 2013 schwelende Bürgerkrieg im Südsudan wird von vielen internationalen Akteuren als die größte humanitäre Katastrophe der Gegenwart angesehen. Wer kann, verlässt das ostafrikanische Land, welches vor knapp sechs Jahren von seinem großen Nachbarn aus dem Norden, dem Sudan, in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Fast zwei Millionen Menschen sind bereits geflohen, die meisten davon ins westliche Nachbarland Uganda. Aber auch innerhalb seiner Grenzen zählt der jüngste Staat der Erde in etwa die gleiche Zahl an Binnenflüchtlingen; vertrieben durch Hunger, Gewalt, religiöse und ethnische Verfolgung 1) UNO-Flüchtlingshilfe: Südsudan: Zahl der Flüchtlinge übersteigt 1,5 Millionen; nicht mehr verfügbar . Nach dem Unabhängigkeitsreferendum im Januar 2011 schöpfte ein überwältigender Großteil der Bevölkerung Hoffnung auf eine friedlichere Zukunft. Fast 99 Prozent der Abstimmenden hatten für die Sezession vom Sudan votiert. Das durch seine jahrzehntelange Geschichte von blutigen Konflikten gezeichnete Land wurde jedoch recht schnell von der grausamen Realität eingeholt. Mit der Unabhängigkeit war es nicht getan. Um dem Land nachhaltigen Frieden zu bescheren, muss man sich zwingend mit seiner kriegerischen Vergangenheit – insbesondere seinem Erbe zahlreicher kolonialer Manipulationen – auseinandersetzen und versuchen, diesen entgegenzuwirken 2) LIPortal: Südsudan / Themenfeld: Geschichte & Staat; nicht mehr verfügbar .
Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts eroberte das unter osmanischer Hoheit stehende Ägypten einen Großteil des heutigen Sudan, bekam jedoch nie richtigen Zugriff auf den Süden des Landes. Auch den Briten, welche 1882 Ägypten besetzten und den Sudan auf der Berliner Kongokonferenz 1886 in Nord und Süd teilten, gelang es nur unzureichend, den südlichen Teil unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Kapazitäten, das Gebiet zu besetzen, waren nicht ausreichend. Weil man aber den Südsudan in Britisch-Ostafrika integrieren wollte, unterdrückte man den Islam und die Verbindungen zum Norden. Auch verhinderten die Briten weitreichendere wirtschaftliche Entwicklungen, um einen „echten afrikanischen Lebensstil“ zu bewahren. Nach der islamischen Mahdi-Revolte im Norden des Sudan, war der Süden gegen Ende des Jahrhunderts komplett abgeschnitten. Auch die Franzosen schafften es im Zuge des entstandenen Machtvakuums nicht, die Hoheit über das Gebiet zu erlangen. 1898 gelang es einem anglo-ägyptischen Heer, die Mahdisten in der Schlacht von Omdurman zu schlagen und daraufhin den gesamten Sudan zu erobern. Gegenüber dem restlichen Europa rechtfertigten die Briten den Einmarsch als humanitäre Intervention; man wollte den Sklavenhandel der Mahdis unterbinden 3) Die Presse: Chronologie des Sudan-Konflikts; Artikel vom 07.02.11 4) AG Friedensforschung: Sudan/Südsudan: Die tödlichen Folgen des Kolonialismus; Stand vom 05.07.17 5) Telepolis: Sudan: Die Geschichte einer gescheiterten State-Building-Mission; Artikel vom 22.08.14 .
Im sogenannten britisch-ägyptischen Kondominium wurden der Norden und der Süden separat verwaltet, Schlüsselpositionen aber auch im Süden hauptsächlich mit Muslimen aus dem Norden besetzt. Im Norden gründete man gemäßigte muslimische Schulen als Gegenentwurf zur Mahdi-Bewegung, im Süden trieb man christliche Missionierung voran. Anfang der 1920er Jahre wurde der Handel zwischen beiden Seiten stark reguliert, was zu drastisch divergierenden wirtschaftlichen Entwicklungen auf beiden Seiten führte. Der Historiker Savo Heleta beklagt ethnische Spaltungen, die die britische Kolonialverwaltung zwischen 1899 und 1956 betrieben habe. Bereitete man den Nordsudan ab den 1940er Jahren noch auf die Selbstverwaltung vor, so revidierten die Briten dies 1946 und stellten eine Gesamtregierung unter Führung des Nordens in Aussicht. Der Süden fühlte sich daraufhin betrogen. Die jahrzehntelange Benachteiligung des Südens durch die Kolonialherren setzte sich somit nach der Unabhängigkeit des Sudan 1956 durch die Regierung in Khartum fort 6) Die Presse: Chronologie des Sudan-Konflikts; Artikel vom 07.02.11 7) LIPortal: Südsudan / Themenfeld: Geschichte & Staat; nicht mehr verfügbar .
Noch vor der Unabhängigkeitserklärung begann 1955 ein bewaffneter Konflikt um die Bedingungen des zukünftigen Staates. Dieser dauerte 17 lange Jahre, bis dem Süden in einem Friedensabkommen 1972 letztendlich der Autonomiestatus zugesprochen wurde. Es folgten elf Jahre Waffenstillstand, das Abkommen wurde jedoch nie richtig eingehalten. Als 1983 die Autonomie fast gänzlich ausgehöhlt ist und die Scharia im ganzen Sudan eingeführt wird, formiert sich die „Sudanesische Volksbefreiungsarmee“ (SPLA) zum Widerstand. Es kommt erneut zum Bürgerkrieg. Diesmal dauerte er gar 22 Jahre, ging damit als bislang längster afrikanischer Bürgerkrieg in die Geschichte ein. Dieser Krieg verlief weitestgehend ohne gravierende Interventionen der internationalen Gemeinschaft und endete im Jahr 2005 mit einem Friedensabkommen zwischen der Regierung in Khartum und der SPLA. Der Süden bekam zunächst einmal wieder autonomen Status und die Erlaubnis, sechs Jahre später ein Unabhängigkeitsreferendum abzuhalten. Doch auch nach dem überwältigenden „Ja“ zur Abspaltung kommt der Südsudan nicht zur Ruhe. Was zum Einen an der internen Zerrissenheit der Bevölkerung, zum Anderen aber auch heute noch wesentlich an erheblichen Einmischungen von außen liegt 8) LIPortal: Südsudan / Themenfeld: Geschichte & Staat; nicht mehr verfügbar 9) Internationale Krisen und Konflikte: Sudan; Stand vom 05.07.17 .
Besonders hervorzuheben ist hier die geopolitische Rivalität zwischen China und den USA um die Vorherrschaft über die wertvollen Rohstoffquellen, welche sich über fast das gesamte, neu gebildete Staatsgebiet erstrecken. Auch die Religion spielt eine gewichtige Rolle. Während China keinerlei missionarische Absichten hegt, möchten die Amerikaner im Süden ein „christliches Bollwerk“ gegen den Islam im Norden errichten. Und natürlich liefert der Westen auch in dieses Kriegsgebiet ausreichend Waffen. Der ehemalige Nahostkorrespondent der ZEIT, Michael Lüders, befasst sich seit vielen Jahren mit der Politik des Westens im Orient. Er bewertet die Abspaltung des Südsudan und den darauffolgenden Bürgerkrieg ganz klar als Ergebnis der Bestrebungen des Westens, den Einfluss Chinas – welches seit Jahren gute Beziehungen zum Norden pflegt – in der Region möglichst gering zu halten 10) ZEIT Online: „Den Konflikt im Sudan hat der Westen geschürt“; Artikel vom 17.06.15 .
Die Großmächte dieser Welt stehen also zweifellos in der Pflicht, diesen Konflikt zu entschärfen. Ohne ihre aktive Mithilfe wird die Region auf lange Sicht keinen nachhaltigen Frieden erleben dürfen.
Fußnoten und Quellen:
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