Libyen: Sechs Jahre Bürgerkrieg – unterschiedliche Interessen verhindern Frieden
Seit dem Sturz von Machthaber Muammar al Gaddafi im Jahr 2011 ist Libyen nicht zur Ruhe gekommen. Mittlerweile haben sich drei Regierungen gebildet, die von verschiedenen Milizen unterstützt um Einfluss kämpfen. Die UN erkennt die in der Hauptstadt Tripolis herrschende Regierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch an. Libyen gilt als das wichtigste Transitland für die Flüchtlingsroute über das Mittelmeer. Seit Anfang des Jahres haben mehr als 60.000 Menschen erfolgreich diesen Weg nach Europa genutzt, wie die Frankfurter Allgemeine berichtet. Der EU liegt viel daran, dass das Land sich stabilisiert und diese Grenze schützt. 800 Millionen Euro stellte die Europäische Kommission der Regierung bislang zur Verfügung, 90 Millionen davon an Ostern 1) Kurier: Libyen: Das Chaos, aus dem der Terror entstand; Artikel vom 26.05.17 2) Deutschlandfunk: „Man behandelt uns hier wie Tiere“; Artikel vom 05.05.17 3) Frankfurter Allgemeine: Gabriel verspricht mehr Flüchtlingshilfe für Libyen; Artikel vom 08.06.17 .
Auch verschiedene islamistische Gruppierungen kämpfen in Libyen um Macht und Einfluss. Ende Mai führt Ägypten einen Luftangriff auf mehrere extremistische Stützpunkte durch. Es ist ein Vergeltungsschlag für einen Angriff auf koptische Christen bei Kairo, mit fast 30 Toten, nur Stunden vorher. Neben Ägypten zeigen sich auch Algerien und Tunesien über die Tätigkeiten der Extremisten in Libyen besorgt und drängen auf eine diplomatische Lösung des politischen Konflikts. Sie fürchten bei einer Verschlimmerung Auswirkungen auf die gesamte Region. Gleichzeitig lehnen sie eine konkrete Einmischung oder militärische Intervention ab 4) Zeit: Ägypten fliegt Angriffe auf Terrorcamps in Libyen; Artikel vom 26.05.17 5) Kurier: Libyen: Das Chaos, aus dem der Terror entstand; Artikel vom 26.05.17 .
Rückblick auf die Entstehung des Konflikts von 2011
Doch wie ist die heutige Lage in Libyen eigentlich entstanden? Welche ausländischen Interessen wurden verfolgt? Und welche Verantwortung trägt die internationale Gemeinschaft für die aktuelle Situation?
Mummar al-Gaddafi kam 1969 durch den Sturz des letzten Königs Idris an die Macht. Über 40 Jahre regierte er das Land. Im Februar 2011 führt die Festnahme eines Menschenrechtsaktivisten in der östlich liegenden Stadt Bengasi zu Aufständen. Jene werden von der Polizei bekämpft. Daraufhin kommt es besonders im Osten zu weiteren Aufständen. Bengasi entwickelt sich zu einer Rebellenhochburg. Berichte von Massakern an der Zivilgesellschaft durch die Regimetruppen fluten die Medien. Einschlägige Beweise dafür gibt es jedoch nicht, wie die AG Friedensforschung analysiert. Eine bewaffnete und gewaltbereite Rebellengruppe seien keine Zivilisten. Auch Mitglieder der lokalen Al Qaida kämpfen an der Seite der Rebellen. EU Botschafter können nicht genau sagen, wer die Rebellen sind und fordern eine genaue Untersuchung. Zu der kommt es jedoch nicht. Am 17.3. legitimiert der UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 1973 den Schutz jener Zivilgesellschaft durch militärische Interventionen mithilfe von Luftangriffen – Frankreich ist dabei die treibende Kraft. Die NATO darf nun so ziemlich alles, außer den Machthaber gezielt zu töten und mit Bodentruppen einmarschieren. Wie kommt es zu der Resolution? Gaddafis Soldaten stehen vor Bengasi, die restlichen Gebiete sind schon wieder zurückerobert. Der UN-Sicherheitsrat beruft sich auf das Prinzip der Schutzverantwortung, welches eine Intervention zum Schutz der Zivilbevölkerung legitimiert. Diese erste internationale Militärintervention soll einen vermeintlichen Völkermord verhindern. Was passiert, ist die Vervierfachung auf 800.000 libysche Flüchtlinge in den Nachbarstaaten sowie ein monatelanger andauernder blutiger Krieg, bei dem beide Seiten keine Fortschritte erzielen können. Wenige Länder können oder wollen Kampfflugzeuge schicken. Großbritannien und Frankreich gehen die Bomber aus. Nur die USA, Kanada, Norwegen, Belgien und Dänemark fliegen Luftangriffe. Katar, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützen die Rebellen durch Waffenlieferungen. Es entsteht eine militärische Pattsituation. Das Militärbündnis gerät in die Kritik, als bei Luftangriffen regelmäßig Zivilisten sterben. Eine diplomatische Lösung schließt US-Präsident Obama bereits Anfang März aus, indem er den Rücktritt des Diktators fordert. Andere Staatsoberhäupter sind derselben Auffassung. Die Kämpfe gehen weiter. Am 21. August erobern die Rebellen Tripolis. Eine Übergangsregierung wird gebildet und bekommt von der internationalen Gemeinschaft umfassende Hilfe beim Wiederaufbau des Landes zugesichert. In den nächsten zwei Monaten werden die letzten regierungstreuen Städte belagert. Schließlich wird am 20. Oktober Gaddafis Geburtsort, die Hafenstadt Sirt eingenommen und der Tod Gaddafis bekannt. 6)Spiegel: Wie sich Libyen von Gaddafi befreite; Artikel vom 20.10.11 7) AG Friedensforschung: Krieg gegen Libyen – Ursachen, Motive und Folgen; Stand vom 13.06.17 8) Zeit: Dieser Krieg war gerecht. Eine Bilanz der Intervention in Libyen; Artikel vom 27.10.11Inwiefern ein NATO Einsatz in Libyen notwendig war, wird kontrovers diskutiert. Verschiedene ausländische Interessen bestehen jedoch 9) AG Friedensforschung: Krieg gegen Libyen – Ursachen, Motive und Folgen; Stand vom 13.06.17 . Libyen verfügt beispielsweise über große Erdölvorkommen. Vor dem Krieg wurden ausländische Firmen hoch besteuert. Die Übergangsregierung versprach Staaten, die sie frühzeitig unterstützt hatten, eine Bevorzugung. Die Verhinderung von Gaddafis angestrebter afrikanischer/ arabischer Währungsunion hätte Frankreich geschadet. 14 ehemalige französische Kolonien haben eine gemeinsame Währung, von der das Land als ehemaliger Kolonialherr massiv profitiert, beispielsweise durch günstige Rohstoffpreise. Gaddafi initiiert 1999 die Bildung der Afrikanischen Union (AU) und versucht so den Kontinent zu einen. Libyen gehört zu den reicheren Ländern Afrikas. Es zahlt beispielsweise 15 Prozent des AU-Budgets. Auch nach Gaddafis Sturz gehen die Gefechte weiter. Verschiedene islamistische Gruppen kämpfen um Macht und Einfluss. Sowohl gegen die Übergangsregierung als auch untereinander. Am 28. August 2014 tritt die Übergangsregierung zurück. Im Juni wählen die Libyer erst das Parlament. Dabei erleiden islamistische Kräfte eine Niederlage und weigern sich, die Rechtmäßigkeit der Wahl anzuerkennen. Sie bilden ein Gegenparlament. Seitdem hat sich die Lage nicht verbessert 10) AG Friedensforschung: Krieg gegen Libyen – Ursachen, Motive und Folgen; Stand vom 13.06.17 11) Tagesschau: Zwischen Abhängigkeit und Sicherheit; 24.9.11 12) FAZ: Libyen versinkt im Chaos; Artikel vom 29.08.14 .
Innenminister Gabriel sichert weitere Hilfe zu
Am vergangenen Donnerstag besuchte Innenminister Sigmar Gabriel überraschend den nordafrikanischen Staat und sicherte zusätzlich zu den 800 Millionen von der EU, weitere 3,5 Millionen Euro Flüchtlingshilfe zu. Aus Sicherheitsgründen war der Besuch nicht angekündigt worden. Die UN kritisiert immer wieder die Bedingungen für Flüchtlinge in dem Land. Wer ohne Visum erwischt wird, kommt in sogenannte Detention Center (offizielle Abkürzung: DC). In diesen „Gefangenen-Zentren“ leben die Menschen in hygienisch fragwürdigen Zuständen, zusammengepfercht auf engstem Raum. Es gibt meist einen Ausgangsraum, dessen Boden mit Sand ausgestreut ist und der an Stelle eines Daches ein Gitter hat. Ansonsten gibt es einen Schlaf- und Aufenthaltsraum. Jener wird abgeschlossen. Es gibt kaum Möglichkeiten zu lüften. Der Boden ist mit dünnen Schlafmatten ausgelegt. Frauen und Männer sind getrennt untergebracht, ebenso gibt es einen Quarantänebereich an der Krankenstation. Kranke scheint es viele zu geben. Wer bei Ankunft noch gesund ist, wird es wohl nicht mehr lange sein 13) Frankfurter Allgemeine: Gabriel verspricht mehr Flüchtlingshilfe für Libyen; Artikel vom 08.06.17 14) Zeit: Gabriel garantiert weitere Flüchtlingshilfen; Artikel von 08.06.17 15) Deutschlandfunk: „Man behandelt uns hier wie Tiere“; Artikel vom 05.05.17 .Bei seinem Besuch in der Hauptstadt kritisierte Innenminister Gabriel die internationale Einmischung. Einzelne Parteien sollten nicht mit Geld oder Waffen unterstützt werden. „Was aufhören muss, ist dass viele Teile der Welt in diesem Land ihre Interessen voranbringen“, sagte er bei seinem Besuch. Inwiefern das mit der aktuellen Politik der EU – 800 Millionen Euro für die Regierung in Tripolis – zusammenpasst, ist fragwürdig 16) Frankfurter Rundschau: „Das ist der Sklavenhandel der Neuzeit“; Artikel vom 09.06.17 17) Deutschlandfunk: Mehrere Nachbarländer plädieren für politische Lösung; nicht mehr verügbar . Insgesamt erscheint es zweifelhaft, ob diese Art von Grenzschutz der richtige Weg ist, und ob eine effektive Ursachenbekämpfung nicht wirksamer wäre.
Fußnoten und Quellen:
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