Syrien vor dem Abgrund: Ein Ende als „failed state“ mit fatalen Konsequenzen für die Bevölkerung?
Sechs Jahre dauert der Bürgerkrieg in Syrien bereits an, doch Frieden ist bisher nicht in Sicht. Die Anzahl der Todesopfer wird bis heute UN-Angaben zu Folge auf etwa 400.000 geschätzt. Jedoch sind viele Regionen kaum zugänglich, so dass die Dunkelziffer weitaus höher liegen könnte. 1) Aljazeera: Syria death toll: UN envoy estimates 400,000 killed; Artikel vom 23.04.16 Zudem haben rund 4,9 Millionen Syrer das Land in die angrenzenden Staaten verlassen. Nur ein kleiner Anteil davon ist nach Europa geflohen. 2) Mediendienst Integration: Syrische Flüchtlinge; Stand vom 17.03.17 Doch angesichts der gegenwärtigen Situation besteht für die Geflohenen kaum eine Aussicht darauf, in absehbarer Zeit in ihr Land zurückkehren zu können. 3) CNN: After Aleppo’s fall, Syria’s bloodshed may continue; Artikel vom 22.12.16 .
Syrien ist bereits seit langer Zeit auf die Hilfe anderer Staaten, insbesondere Russland und den Iran angewiesen, um das staatliche System aufrecht erhalten zu können. So kann der schwache syrische Staat die starken militanten Gruppen im Land kaum kontrollieren. Insbesondere die Terrororganisation IS, welche immer noch strategisch wichtige Teile des Landes besetzt, stellt ein massives Problem dar. Zudem sind die staatlichen Institutionen nur unzureichend funktionsfähig. Infrastruktur, Bildungs- und Gesundheitswesen erreichen die Mehrheit der Bevölkerung nicht. 4) CNN: After Aleppo’s fall, Syria’s bloodshed may continue; Artikel vom 22.12.16
Wenngleich es bereits gelang, einige Gebiete vom IS zurückzuerobern und diesen zu verdrängen, so erscheinen die Interventionen des Westens in Syrien dennoch häufig unkoordiniert. So werden Verbündete der USA immer wieder mit Kriegsverbrechen in Verbindung gebracht. Beispielsweise wird die syrisch-kurdische Partei „Partiya Yekîtiya Demokrat“ (PYD), die an der Seite Amerikas gegen die Terrororganisation IS in Syrien kämpft, mit Zwangsumsiedlungen ohne militärische Notwendigkeit und großflächige Wohnungszerstörungen assoziiert. 5) Amnesty International: Syria: US ally’s razing of villages amounts to war crimes; Artikel vom 13.10.15 Begründet wird etwa das in Brandsetzen ganzer Dörfer allein mit der Vermutung, die Bewohner sympathisierten mit der Terrormiliz. Zudem wird den Vertriebenen kein alternativer Wohnraum zugesichert, oder Mittel zur Kompensierung ihrer Verluste bereit gestellt. Viele werden auf diese Weise zu heim- und besitzlosen Flüchtlingen, deren einzige Chance darin besteht, ihr Land zu verlassen. 6) Amnesty International: Syria: ‚We had nowhere to go‘ – Forced displacement and demolitions in Northern Syria; Artikel vom 13.10.15 Amnesty International spricht daher von einem massiven Machtmissbrauch sowie Verstoß gegen internationale Menschenrechte. Im Kampf gegen den IS finden diese Verbrechen bei der US-geführten Koalition jedoch kaum Beachtung, werden nicht geahndet und dauern somit bis heute weiter an. 7) Amnesty International: Syria: US ally’s razing of villages amounts to war crimes; Artikel vom 13.10.15
Die USA setzen dabei in ihrer Strategie zur Bekämpfung des IS insbesondere auf die Zusammenarbeit mit den kurdischen Streitkräften. Durch diese Kooperation gestärkt, gelang es den Kurden, ein autonomes Gebiet innerhalb Syriens zu erobern und dieses sogar bis in Gebiete auszuweiten, welche überwiegend vom arabischen Teil der Bevölkerung besiedelt sind. Dies schürt jedoch zunehmend regionale, ethnische Konflikte. Und auch die Türkei, welche sich am Kampf gegen den IS beteiligt, sieht die Ausbreitung der Kurden kritisch. 8) CNN: The West’s obsession with ISIS has not helped Syria after 6 years of war; Artikel vom 15.03.17 So warnt Ankara eindringlich vor einer Gefahr für die Sicherheitslage durch einen möglichen Zusammenhang der kurdischen Streitkräfte mit der terroristischen Vereinigung der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Um dieser Bedrohung entgegenzuwirken, baut die Türkei nun zunehmend auf die Unterstützung syrischer Rebellen, steht damit jedoch wiederum der amerikanischen Strategie entgegen. 9) Bloomberg Markets: Turkey Central Bank Balancing Act Seen Working, For Now; Artikel vom 16.03.17
Die syrische Zivilgesellschaft gerät also zunehmend zwischen die Fronten. So ist sie einerseits dem Terror des IS und andererseits der Willkür dessen Gegner, welche untereinander wiederum Konflikte austragen, ausgesetzt. 10) Amnesty International: Syria: US ally’s razing of villages amounts to war crimes; Artikel vom 13.10.15 Der Westen sowie die übrigen Parteien im Kampf gegen den IS, scheinen es also versäumt zu haben, einheitlich und geschlossen zu agieren und konnten daher das Erstarken extremistischer Gruppen nicht verhindern. Auch wurde einem Bericht des Cantham House zu Folge, den sozialen, geographischen, politischen, wirtschaftlichen und militärischen Faktoren, welche dafür verantwortlich sind, dass Menschen entscheiden, sich einer militanten Gruppe anzuschließen, zu wenig Beachtung geschenkt. 11) Chatham House: Western Policy Towards Syria: Applying Lessons Learned; nicht mehr verfügbar So konnte letztlich sogar der IS von dieser chaotischen Situation profitieren und weitere Menschen als Kämpfer für sich gewinnen. 12) CNN: The West’s obsession with ISIS has not helped Syria after 6 years of war; Artikel vom 15.03.17
Um diese Rekrutierungsmethoden der Extremisten in Zukunft verhindern zu können, braucht es eine gemeinsame Strategie, welche auch die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung sowie die Spannungen im Land, insbesondere zwischen Kurden und Arabern, berücksichtigt. 13) CNN: The West’s obsession with ISIS has not helped Syria after 6 years of war; Artikel vom 15.03.17 Nur so kann eine Aufteilung der Macht und eine friedliche Koexistenz aller Beteiligten erreicht werden. 14) CNN: After Aleppo’s fall, Syria’s bloodshed may continue; Artikel vom 22.12.16 Bleibt ein solches Handeln aus, so lässt sich befürchten, dass der Konflikt in eine dauerhafte, militärische Auseinandersetzung der unterschiedlichen Akteure um die Besetzung des Landes übergeht. Denn das Zusammentreffen derart gegensätzlicher Parteien auf solch engem Territorium, ohne eine Strategie, die Spannungen zu lösen, verwandelt die Situation in eine tickende Zeitbombe. Eine Eskalation der Lage würde für die Bevölkerung eine weitere Verschlechterung der Lebensumstände zur Folge haben, noch mehr Syrer werden gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen, so dass der IS wohl als einziger Gewinner aus dieser Entwicklung hervorgeht und Syrien als „failed state“ zurück bleibt. 15) CNN: The West’s obsession with ISIS has not helped Syria after 6 years of war; Artikel vom 15.03.17 16) CNN: After Aleppo’s fall, Syria’s bloodshed may continue; Artikel vom 22.12.16
Fußnoten und Quellen:
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