Tschetschenien: Tausende fliehen vor Gewaltherrschaft
Allein letzten Sommer versuchten an die 2 000 Tschetschenen die Grenze zwischen Weißrussland und Polen zu überqueren, um in die EU zu gelangen. Sie versuchten in Zügen von Brest in Weißrussland über die Grenze nach Terespol in Polen zu kommen und auch jetzt im Dezember versuchten viele Tschetschenen nach Polen einzureisen, um den Flüchtlingsstatus beantragen zu können. Es wird täglich aber nur wenigen Personen die Einreise erlaubt, der Rest muss wieder nach Weißrussland zurückkehren und den nächsten Zug nehmen. Im Jahr 2016 wurden zwar knapp 6 600 Anträge in Terespol gestellt, aber dafür fanden 78 000 Zurückweisungen statt. Der Wartessal des Bahnhofs in Brest wird für viele zu einer Art Unterkunft, da sie sich nach und nach die Zugickets nicht mehr leisten können.
Eine Tschetschenin berichtet, sie sei in den neunziger Jahren, als Krieg in Tschetschenien herrschte, in das benachbarte Inguschetien geflohen. Als der Krieg vorbei war, wollte sie zurück in ihre Heimat, aber in ihrem Haus wohnten bereits andere Menschen, die damals im Krieg auf der „richtigen“ Seite gekämpft hatten. Sie wollte den Fall bei der Polizei melden, wurde aber zwei Tage später von zwei Männern in ein Auto gezogen. Sie warfen sie in einen Graben und drohten ihr, sie zu erschießen, wenn sie ihre Anklage nicht zurückziehe. „Gegen die Leute von Kadyrow hat niemand eine Chance, schon gar nicht eine einsame Frau.“ 1) DW: Tschetschenische Flüchtlinge; Endstation Polen; Artikel vom 14.12.2016
Kadyrow regiert die autonome Republik Tschetschenien, die zu Russland gehört und ist ehemaliger Rebellenkämpfer. 2013 und 2016 stieg die Zahl der tschetschenischen Asylbewerber in Deutschland deutlich an. Konkrete Gründe für die Zuwanderung explizit in die Bundesrepublik dafür gibt es nicht, die „Welt“ sieht aber einen Zusammenhang, dass Putin dahinter stehen könnte. „Russland [habe] die „Tschetschenen-Tür“ erneut geöffnet […], um seine Macht zu demonstrieren. In Moskau wurde die Unruhe, die im vergangenen Jahr durch die Flüchtlingskrise hierzulande entstand, genau registriert. Deutsche Sicherheitsbehörden beobachten bereits seit einiger Zeit, dass Russland verschiedene Möglichkeiten nutzt, um hierzulande Unruhe auszulösen.“ 2) Welt: Immer mehr Tschetschen kommen – steckt Putin dahinter?; Artikel vom 29.05.2016
Kadyrows Politik grenzt an eine Gewaltherrschaft. Junge Tschetschenen schließen sich zum Teil islamistischen Rebellen oder dem IS an. Gegen diese Gegner geht Kadyrow gewaltsam vor: Er zerstört die Häuser der Angehörigen und Verdächtigen, im März wurde eine Gruppe Menschenrechtler überfallen, ihr Bus angezündet und alle Insassen verprügelt. Freie Journalisten, die von der Lage unter Kadyrow berichten, müssen um ihr Leben fürchten. Es wird von Müttern berichtet, die Angst haben, ihre Töchter auf die Straßen zu lassen, da Kadyrows Anhänger sie zu einer Heirat zwingen könnten. Wer Kadyrow kritisiert, wird als Feind erklärt und beseitigt – mit Putins Segen. 3) Spiegel: Darum kommen so viele Tschetschenen nach Deutschland; Neue Fluchtbewegung; Artikel vom 22.06.2016
Das Gebiet wurde in den letzten Jahrzehnten von zwei großen Kriegen zerrüttet. Der zweite Tschetschenienkrieg endete zwar 2009, die Menschenrechtslage hat sich aber durch Kadyrow nicht verbessert und ist seit 1,5 Jahren eher wieder schlechter geworden, so Menschenrechtsorganisationen. Kritiker sprechen sogar von einer faktisch rechtsfreien Zone, was den Flüchtlingsstrom vor allem nach Deutschland erklärt: Im Jahr 2013 wurden 15 473 Asylanträge aus Russland registriert. 4) Welt: Warum plötzlich so viele Tschetschenen kommen; Artikel vom 22.06.2016
Fußnoten und Quellen:
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