Syrien: Russische und US-geführte Bombenangriffe heizen den Konflikt weiter an – Nun droht eine humanitäre Katastrophe im Nordwesten des Landes
Die Genfer Flüchtlingskonvention wird heute 65 Jahre alt. Es ist ein trauriger Geburtstag. Denn an ihrer Notwendigkeit hat sich bis heute nichts verändert. Ganz im Gegenteil: Über 65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Die meisten Menschen stammen noch immer aus Syrien, wo sich die Lage seit fünf Jahren nahezu täglich verschlimmert.1)UNHCR: Figures at a glance; Stand 21.12.2016
Im Nordwesten des Landes droht nun eine humanitäre Katastrophe. Nach Informationen eines Zusammenschlusses aus 24 vor Ort tätigen Hilfsorganisationen sind seit mehr als drei Wochen fast 400.000 Menschen von der Versorgung mit Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten abgeschnitten. “Die Menschen in Manbij, Aleppo, Idlib, Daraya und überall im Land leiden unter Hunger und Krankheiten“, warnt Sonya Khush, Länderdirektorin von Save the Children in Syrien. “Die Vorräte gehen rapide zur Neige, Frauen, Kinder und Männer werden hungern, wenn die Konfliktparteien nicht gezwungen werden, den Weg für humanitäre Hilfe freizugeben.“2)Berliner Morgenpost: Knapp 400.000 Zivilisten in Syrien von Hilfe abgeschnitten; Artikel vom 27.07.2016
Alleine in Aleppo sind seit Beginn der Belagerung der Stadt ca. 300.000 Menschen eingeschlossen, davon sollen alleine 60 Prozent Frauen und Kinder sein. „Die Bevölkerung in Aleppo musste jahrelang Bombardements ertragen. Nun droht ihnen noch der Hungertod“, warnt Sonia Khush weiter. „Die Vorräte werden in den nächsten Wochen zu Ende gehen, wenn weiterhin keine Hilfsgüter durchgelassen werden.3)Save the Children: Drohende humanitäre Katastrophe im Nordwesten Syriens; Artikel vom 27.07.2016 Zusätzlich wurde bereits letzte Woche ein Lagerhaus der Organisation Save the Children bombardiert, in dem sich Lebensmittel für rund 10.000 Familien und Benzin befanden, die nun für die Menschen in Aleppo verloren sind. Aufgrund der Kämpfe bleiben die Schulen der Stadt bis mindestens 12. August geschlossen.4)Entwicklungspolitik Online: Nordwest-Syrien – An der Schwelle zur humanitären Katastrophe; Artikel vom 26.07.2016 Auch Daraya, das seit bereits vier Jahren belagert wird, ist seit Anfang Juli gezwungen, seine Einwohner durch die unzureichende lokale Landwirtschaft zu versorgen. Da die Versorgungslage daher desolat ist und die Luftangriffe in den letzten Wochen stark anstiegen, mussten ca. 3.500 Familien in Nachbarbezirke fliehen.5)Berliner Morgenpost: Knapp 400.000 Zivilisten in Syrien von Hilfe abgeschnitten; Artikel vom 27.07.2016 Auch in Idlib nehmen die Kämpfe und Bombardements stark zu. Das letzte funktionierende medizinische Labor der Stadt wurde nun zerstört. Mehr als 100 Angriffe wurden alleine in der vergangenen Woche gemeldet, aufgrund derer nun mehr als 4.000 Familien aus der Region flohen.6)Save the Children: Drohende humanitäre Katastrophe im Nordwesten Syriens; Artikel vom 27.07.2016
Verantwortlich für einen Großteil der Luftschläge sind neben Präsident Baschar al-Assads Luftwaffe vor allem die US-geführte Koalition sowie russische Bomber. 7)Independent: Isis air strikes: Civilian death toll from western bombing ´set to reach 1,000 within days` – Artikel vom 5.3.2016 Die USA und ihre Partner sind dabei vor allem für Angriffe auf Aleppo und Idlib verantwortlich, die dem sogenannten Islamischen Staat galten, aber auch zivile Einrichtungen und Menschenleben trafen.8)Syrian Free Press: War Crimes Alert: U.S. Airforces bombed Aleppo´s hospitals, Washington Liars put the blame on Russia – Artikel vom 11.2.2016 In der gleichen schwer umkämpften Region kreisen auch immer wieder russische Bomber. Deren Angriffe gelten auch von den USA unterstüzten Rebellen und sollen den Machthaber Assad stärken. Sie sind jedoch ebenfalls für hunderte Todesopfer unter der Zivilbevölkerung verantwortlich sein.9)taz.de: Zivile Opfer von Luftangriffen – Von denen keiner spricht – Stand: 5.7.2016
Jenseits der Kämpfe und Frontlinien wartet vorhandene Hilfe darauf, eingesetzt werden zu können. Doch die Gefahr durch die Kampfhandlungen und Bombardierungen lässt den Helfern kein Durchkommen. Dabei wurde uneingeschränkte Hilfe vom UN-Sicherheitsrat zugesichert. “Wir erinnern alle an dem Genfer Treffen beteiligten Regierungen – insbesondere die der USA und Russlands, die gemeinsam den Vorsitz dieses Treffens der Unterstützergruppe innehaben – an ihre Verantwortung, die unverzügliche Umsetzung der Resolution 2258 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu überwachen. Diese ruft zur ungehinderten humanitären Hilfe in ganz Syrien auf”, so Karl-Otto Zentel, Generalsekretär von CARE Deutschland-Luxemburg. „Der UN-Sicherheitsrat muss alle Konfliktparteien für Verletzungen des Völkerrechts zur Rechenschaft ziehen, er muss die Verantwortlichkeit für Kriegsverbrechen und andere schwere Verstöße sicherstellen, er muss die vorherrschende Kultur der Straflosigkeit beenden und das gesetzlose Schlachten stoppen.“10)Berliner Morgenpost: Knapp 400.000 Zivilisten in Syrien von Hilfe abgeschnitten; Artikel vom 27.07.2016 Der erste Schritt wäre ein Waffenstillstand zur Versorgung der Zivilbevölkerung.
Doch die US-geführte Koalition und Russland bombardieren weiter nur die für sie jeweils als „Terroristen“ eingestuften Milizen und Organisationen und überlassen den eskalierten Konflikt und seine Opfer sich selbst. Gerade an einem historischen Tag wie heute, sollte von den Verantwortlichen innegehalten und die Strategie einmal überdacht werden. Die Lösung oder Entschärfung des Konflikts könnte nicht nur fast fünf Millionen Menschen ihre Heimat wiedergeben und somit die sogenannte Flüchtlingskrise entschärfen, sie könnte auch das verlorene Vertrauen einer ganzen Region in Europa, die USA und auch Russland wiederherstellen. Die Genfer Konvention ist von Mitgefühl und Verantwortungsbewusstsein geprägt: zwei Eigenschaften, die die internationale Politik sich wieder zu eigen machen sollte.
Fußnoten und Quellen:
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