Rückkehr nach Falludscha: Lernt der Westen aus seinen Fehlern?
Ende 2014 musste die UN einen Großteil der Nahrungsmittelhilfe für Flüchtlingslager in Entwicklungsländern streichen. Der Grund: die Mitgliedsstaaten hatten die Hilfe beschlossen, wollten dann aber nicht zahlen. Als Konsequenz machten sich hunderttausende hungernde Flüchtlinge auf den Weg nach Europa. Jetzt nimmt Deutschland viel Geld in die Hand, um Flüchtlingen die Rückkehr nach Falludscha zu ermöglichen. Denn wer wieder in seiner Heimat überleben kann, wird ja wohl nicht nach Europa kommen? 1)tagesspiegel.de: Kein Geld für syrische Flüchtlinge, UN streichen Nahrungsmittelhilfe; 01. Dezember 2014
Deutschland investiert am meisten Geld in die Stabilisierung Falludschas
Vor wenigen Wochen gelang es der irakischen Regierung, mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, die Stadt Falludscha vom IS zurückzuerobern. Falludscha war die letzte Hochburg der Terrormiliz gewesen. Nun sei es wichtig, den Binnenflüchtlingen eine „möglichst schnelle Rückkehr“ in ihre Heimatstadt zu ermöglichen, so der deutsche Außenminister Steinmeier. Denn nur so könne der irakische Staat das Vertrauen seiner Bevölkerung zurückgewinnen. Bisher hat das Auswertige Amt 25 Millionen Euro für die Stabilisierung zurückeroberter Gebiete bereitgestellt. Weitere fünf Millionen wurden als Soforthilfe für die Binnenflüchtlinge um Falludscha bewilligt. Mit dem Geld soll der Bau von 20 Flüchtlingslagern in der Umgebung der Stadt unterstützt werden. Außerdem soll das ehemalige IS-Gebiet wieder bewohnbar gemacht werden. Dafür müssen vor allem Sprengfallen beseitigt und die öffentliche Ordnung wieder hergestellt werden. 2)faz.net: Befreit – und jetzt?; 01. Juli 2016
Danach will sich die Bundesregierung zusammen mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) um handlungsfähige Polizeistrukturen kümmern. Dazu sollen Binnenvertriebene zu Polizeikräften ausgebildet werden. Außerdem stehen Strom- und Wasserversorgung, sowie der Wiederaufbau von Schulen und Krankenhäusern auf dem Plan. Seit Jahresbeginn hat Deutschland über 280 Millionen Euro humanitäre Hilfe an den Irak überwiesen. Für Stabilisierungs- und Aufbaumaßnahmen vergab der Bund einen Kredit in Höhe einer halben Milliarde Euro an die irakische Regierung. Damit ist Deutschland der großzügigste Geldgeber. 3)faz.net: Befreit – und jetzt?; 01. Juli 2016
Kürzungen der internationalen Nothilfe 2014/2015
Eine mögliche Erklärung des deutschen Engagements für die irakischen Binnenflüchtlinge könnte sein, dass die Bundesregierung aus ihren Fehlern gelernt hat. Seit 2011 hatte das WFP die Ernährung von Millionen Flüchtlingen in Syrien und dessen Nachbarstaaten durch Spenden gestemmt. 2014 standen der Organisation sogar 5,38 Milliarden US-Dollar zur Verfügung. Doch dann wollten viele UN-Mitgliedsländer nicht mehr zahlen. Ende 2014 musste das Welternährungsprogramm der UN (WFP) seine Lebensmittelhilfe für syrische Flüchtlinge in Jordanien, der Türkei, dem Libanon, im Irak und in Ägypten kurzfristig beenden. Für die Notversorgung fehlten nämlich 64 Millionen Dollar, die die Mitgliedsstaaten zwar versprochen, aber nicht rechtzeitig, oder gar nicht bereitgestellt hatten. 4)tagesspiegel.de: Kein Geld für syrische Flüchtlinge, UN streichen Nahrungsmittelhilfe; 01. Dezember 2014 So ließ der reiche Westen die Entwicklungsländer mit den syrischen Vertriebenen alleine. Ungarn, Lettland und Polen steuerten beispielsweise weder 2014, noch 2015 Geld für die Notversorgung bei. Portugal und Österreich fuhren die Spenden von 2014 auf 2015 um 100% herunter, Saudi-Arabien überwies der WFP keinen Cent. Außer der Niederlande kürzten alle europäischen Länder die Zahlungen, Deutschland um die Hälfte. 5)heise.de: EU-Staaten hatten 2015 fast durchweg Hilfen für syrische Flüchtlinge gekürzt; 25. September 2015
Aufgrund der Kürzungen können die Syrer nicht länger in den Flüchtlingslagern überleben
Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten: Die Situation in den Flüchtlingslagern verschlechterte sich zunehmend, die Menschen mussten hungern. Dass die Hilfe ausgerechnet im Winter eingestellt wurde, verschlimmerte die Situation der Flüchtlinge. Im Juli 2015 musste die wieder aufgenommene Flüchtlingshilfe erneut stark reduziert werden. Wieder fehlte dem WFP das Geld. Der Hilfsplan für 2015 konnte nicht einmal zur Hälfte finanziert werden. 6)wfp.org: WFP muss Nothilfe für syrische Flüchtlinge weiter kürzen; 01. Juli 2015 Viele Flüchtlinge bekamen keine Lebensmittelrationen mehr. Der Rest musste von etwa einem halben US-Dollar pro Tag leben. In Jordanien führte die chronische Unterversorgung laut UNHCR dazu, dass ein Großteil der Flüchtlinge den Zugang zu medizinischer Versorgung verlor. So konnten 2014 knapp 80 Prozent der chronisch kranken erwachsenen Vertriebenen versorgt werden. 2015 waren es nur noch etwas mehr als 40 Prozent. Als Konsequenz der sinkenden humanitären Hilfe beschlossen hunderttausende syrische Flüchtlinge, die Lager zu verlassen und nach Europa zu gehen. Einem UNHCR Bericht zufolge haben viele Flüchtlinge die sich verschlimmernden Zustände in den Flüchtlingsunterkünften als Grund für ihre Flucht in den Westen angegeben. Über vier Jahre lang hatten die Vertriebenen in libanesischen, jordanischen und irakischen Camps ausgehaart. Es war zwar kein schönes Leben, aber es reichte zum Überleben. Bis der Westen nicht mehr zahlen wollte. 7) unhcr.de: Warum Flüchtlinge nach Europa kommen; nicht mehr verfügbar
Europa zerbricht beinahe an der Flüchtlingskrise
Der Fehler, die Nothilfe für Flüchtlingslager in Syrien und den umliegenden Ländern zu reduzieren, kam auch Deutschland teuer zu stehen. 150 Millionen Euro sparte die Bundesregierung ein, indem sie die WFP-Spenden von 2014 auf 2015 halbierte. Aber zu welchem Preis? Das Institut der deutschen Wirtschaft geht davon aus, dass Beherbergung, Versorgung und Integration der Flüchtlinge in Deutschland in den Jahren 2016 und 2017 fast 50 Milliarden Euro kosten wird. Hinzu kommen noch die Ausgaben für den Abschottungsversuch Deutschlands und natürlich die enormen politischen Ausmaße. So nutzen rechte Parteien in ganz Europa die Flüchtlingskriese um erfolgreich Angst und Fremdenfeindlichkeit zu verbreiten und Stimmen zu gewinnen. Einen Mitgliedsstaat hat die EU schon verloren. Dass Weitere dem großbritannischen Beispiel folgen, ist nicht ausgeschlossen. In Deutschland hätte die Flüchtlingspolitik beinahe die Union von CDU und CSU zerrissen. Auch die europäische Bevölkerung ist gespalten. 8)Zeit.de: Flüchtlinge kosten Deutschland 50 Milliarden Euro; 01. Februar 2016
Deutschland scheint den Fehler nicht zu wiederholen
Vermutlich hätte all das verhindert werden können, wenn Deutschland im vergangenen Jahr seinen vollen Beitrag zum WFP-Ernährungsprogramm geleistet hätte. Die Bundesregierung wäre auch dann noch um einiges billiger weggekommen, wenn sie für die anderen EU-Länder mitbezahlt hätte. Doch es hat den Anschein, dass die Politiker aus ihrem Fehler gelernt haben. Denn jetzt wird ja großzügig Geld in den Wiederaufbau im Irak investiert. Als Vorbild gilt die Stadt Tikrit. Nach der Befreiung der Stadt ist die Lage dort so gut stabilisiert worden, dass seit März vergangenen Jahres über 95% der früheren Bevölkerung in ihre Heimat zurückkehren konnten. 9)faz.net: Befreit – und jetzt?; 01. Juli 2016
Fußnoten und Quellen:
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