Chaotische Zustände in Libyen – EU findet keinen Partner für Flüchtlingsdeal
42 Jahre lang regierte Muammar al-Gaddafi Libyen als Präsident eines autokratischen Regimes. 2011 wurde der Despot gestürzt, was große Hoffnungen auf einen politischen Neuanfang in dem nordafrikanischen Land weckte. Die Entwicklungen der letzten fünf Jahre zeigen, wie Libyen seit dem Tod Gaddafis im Bürgerkrieg versunken ist. Anstelle der erhofften Demokratie haben sich Gewalt, islamistischer Terror und Chaos verbreitet. Das Land funktioniert nicht länger als Nationalstaat und zerfällt weiter: In Tripolis genießt die sogenannte Einheitsregierung Unterstützung des Westens, kann aber nicht das ganze Land kontrollieren. Von Tobruk aus kontrolliert eine Gegenregierung den Osten des Landes und erhält ihrerseits Zuspruch aus Russland. Im Westen Libyens kämpft zusätzlich die ehemalige Gaddafi-Regierung um mehr Macht. 1)Cicero: Leben im Dauerbeben; 22. Januar 2016 Hinzu kommen noch über 1000 Milizen, die Städte besetzen und im Kampf für eigene Interessen regelmäßig die Gefolgschaft wechseln. 2)Taz: Das Chaos hinter der Fassade; 25. Juli 2016
Seit fünf Jahren leiden die Libyer nun schon unter den zahlreichen Konflikten in ihrem Land. Zahlen der Vereinten Nationen zufolge ist die medizinische Versorgung weitgehend unzulänglich, über 60 Prozent der Bevölkerung können nicht mehr arbeiten und 435.000 der sechs Millionen Einwohner sind Binnenflüchtlinge im eigenen Land. 3)Sputnik International: UN Special Envoy Assesses Jumanitarian Situation in Libya as ‚Disastrous‘; 13. Juli 2016
Flüchtlinge aus weiteren Teilen Afrikas kommen über Transitländer wie Ägypten, Algerien und Niger nach Libyen, wo sie auf die Weiterreise nach Europa warten. Seit Beginn des Jahres sind bereits über 77.000 Vertriebene von Libyen aus nach Europa aufgebrochen, wie Martin Koch, Kopf der UN-Hilfsmission in Libyen, berichtet. Diesen Sonntag wurden die Leichen von weiteren 41 Menschen an der libyschen Küste gefunden, die nach Europa aufbrachen und nie ankamen. 4)Deutsche Welle: Refugees in Libya ‚traumatized‘; 26. Juli 2016 Durch Flüchtlingsdeals mit Marokko, Tunesien und Algerien konnte die Europäische Union erfolgreich die Migration aus diesen Ländern nach Europa bekämpfen. Weniger Grund zur Flucht haben die Asylsuchenden durch Maßnahmen zum Grenzschutz natürlich nicht. An ihrer Lage ändert sich nichts. Durch monatelanges Ausharren in unterversorgten Flüchtlingslagern werden ihre letzten finanziellen Ressourcen aufgezehrt. 5)Taz: Das Chaos hinter der Fassade; 25. Juli 2016
Die Schlepperbanden der umliegenden Mittelmeerstaaten werden durch solche Deals ebenfalls nicht nachhaltig bekämpft. Sie betreiben ihr Gewerbe nun in Libyen. Auch wenn Gesundheits- und Bankensysteme im Land versagen und die Erdölförderung zurückgeht, boomt ein Geschäft: der illegale Menschenschmuggel nach Europa. In dem von andauernden Konflikten zerrütteten Land sammeln sich Flüchtlinge aus ganz Afrika. Sie fliehen vor Terror, Diktaturen und Hunger und kommen aus Ländern wie Senegal, Gambia, Eritrea und Somalia. 6)Deutsche Welle: Refugees in Libya ‚traumatized‘; 26. Juli 2016 Für die meisten sind die libyschen Schlepper der einzige Weg in ein besseres Leben. Als Muammar al-Gaddafi noch an der Macht war, hielt er die Flüchtlinge von Europa fern. Bis 2010 forderte der Machthaber jährlich fünf Milliarden Euro von der EU. Die Institution ging lieber einen Deal mit dem Diktator ein, als effektiv Fluchtursachen zu bekämpfen und Bleibeperspektiven für Vertriebene zu schaffen. Nach dem Tod Gaddafis brach das Abkommen und die Flüchtlinge begannen beinahe ungebremst nach Europa überzusetzen. Einen neuen Vertragspartner hat die EU in Libyen noch nicht gefunden, sie will aber 100 Millionen Euro in den libyschen Grenzschutz investieren. Um die katastrophale Situation der Menschen in Libyen zu bekämpfen und das Land zu stabilisieren, ist Europa bereit, 18 Millionen Euro zu bezahlen. 7)Taz: Das Chaos hinter der Fassade; 25. Juli 2016
Fluchtbekämpfung ist den europäischen Politikern also weiterhin mehr als fünfmal so viel wert, als die Bekämpfung von Fluchtursachen. Gegenüber der Deutschen Welle erklärte auch Martin Kobler, dass zur Lösung der Flüchtlingssituation sowohl die Lage in den notorisch unterversorgten Flüchtlingslagern, als auch die Situation der Flüchtlinge in deren Herkunftsländern angegangen werden muss. 8)Deutsche Welle: Refugees in Libya ‚traumatized‘; 26. Juli 2016 Jeder vierte Einwohner Libyens ist mittlerweile auf humanitäre Hilfe angewiesen. Wenn Europa nicht bald mit einem nachhaltigen Vorgehen gegen Fluchtursachen beginnt, werden immer mehr Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren und Flucht als letzten Ausweg sehen. 9)Taz: Das Chaos hinter der Fassade; 25. Juli 2016
Fußnoten und Quellen:
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