Afghanistan: Eskalation der Gewalt – Die Regierung verliert die Kontrolle über große Teile des Landes
Die Sicherheitslage in Afghanistan wird immer prekärer. Es befindet sich nunmehr mindestens ein Drittel des Landes nicht länger unter der Kontrolle der Regierung.1)Sigar: Quarterly Report to the United States Congress – Stand: 3.8.2016 Von den 407 afghanischen Distrikten liegen nur noch 238 im Einflussbereich Kabuls. 104 Bezirke werden bereits von den Taliban oder anderen Regierungsgegnern kontrolliert, weitere 36 sind umkämpft. Auch der sogenannte „Islamische Staat“ hat sich in einer Grenzregion zu Pakistan bereits mit ca. 3000 Kämpfern festgesetzt. Mit der Intensität und Verbreitung der Kämpfe steigt auch die Zahl der toten und verletzten Zivilisten. 5100 Menschen fallen im ersten Halbjahr 2016 in diese Kategorie: vier Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres. Der interne Konflikt eskaliert wieder. Wie konnte es dazu kommen?2)Spiegel online: Taliban-Vormarsch: Afghanische Regierung kontrolliert nur noch zwei Drittel des Landes – Artikel vom 29.7.2016
Als besonders kontrovers muss der eilig beschlossene Abzug der NATO nach 2014 gesehen werden. Durch diesen entstand ein Machtvakuum, das von den noch unzureichend ausgebildeten afghanischen Sicherheitskräften nicht aufgefüllt werden konnte. Wie in Syrien und dem Irak fördert auch in Afghanistan der schwächelnde Staat das Entstehen, Erstarken und die Ausbreitung von Rebellen- und/oder Terrororganisationen. Im Juli hatte die NATO daher bereits beschlossen, ihren Abzug zu verschieben, um die afghanischen Sicherheitskräfte weiter zu unterstützen.3)Tagesschau: UN-Bericht zu Afghanistan – Viele Feinde, kein Vertrauen – nicht mehr verfügbar Immer wieder wird zwar betont es werde keinen weiteren Kampfeinsatz geben und die Mission solle sich hauptsächlich auf die Ausbildung der Polizei sowie der Armee beschränken, doch US-amerikanische Luftschläge in der Region nahmen in den vergangenen Monaten stetig zu. Auch die Bundeswehr stockte die vorhandenen Soldaten in Afghanistan bereits Anfang 2016 von 850 auf 980 auf. Diese Entscheidungen müssen als wichtigster Indikator für die sich stetig verschlimmernde Lage am Hindukusch erkannt werden.4)Tagesschau: Angespannte Sicherheitslage – NATO stoppt Truppenabzug aus Afghanistan – nicht mehr verfügbar
Dass die NATO ihre Verantwortung wieder bereit ist wahrzunehmen, muss als positiv angesehen werden, geht die schwache Staatlichkeit Afghanistans nicht zuletzt auch auf ihre Intervention im Jahre 2001 zurück. Doch wie kann erwartet werden, dass nun geschafft werden kann, was unter westlicher Schirmherrschaft für 14 Jahre nicht gelang? Es braucht eine neue Strategie im Land, die sich nicht nur auf Repression und gewaltsamer Niederschlagung der Aufständischen stützt, sondern vielmehr eine nationale Aussühnung anstrebt. Vor allem die Stämme und Regionen müssten für eine solche Lösung mit eingebunden werden, statt einer schwachen aber formal mit vielen Rechten ausgestatteten Zentralregierung. Das westliche Militärbündnis sollte seine Rolle überdenken, um dem afghanischen Volk die Möglichkeit zu geben, wirklichen und inklusiven Frieden zu schaffen, der die Rückkehr der noch immer fast vier Millionen Flüchtlinge endlich ermöglichen könnte.
Fußnoten und Quellen:
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