Bundesregierung und Weltbank vertreiben die indigene Bevölkerung Tansanias
Das auf 20 Jahre angelegte Großprojekt SAGCOT der tansanischen Regierung wird von der Weltbank, der weltweit größten Entwicklungsorganisation, mit einem Kredit über 70 Millionen Dollar gefördert. Die deutsche Bundesregierung stimmte dem Projekt zu. Ziel ist es, etwa zwei Millionen Menschen aus der Armut zu befreien und hunderttausende Arbeitsplätze zu schaffen. Menschenrechtsaktivisten und sogar die USA kritisierten das Vorhaben, die absehbaren Folgen seien Landraub, Landkonflikte und Ernährungsunsicherheit. 1)Deutsche Welle: Weltbank setzt Schutz von Indigenen in Tansania aus; 20.06.2016
So groß wie Italien ist die Fläche im Süden Tansanias auf der in Zukunft großflächige Plantagen für Reis und Zucker, in Zusammenarbeit mit Weltkonzernen wie Nestlé, Unilever, Monsanto und Bayer, entstehen sollen. Auf Drängen der tansanischen Regierung hat die Weltbank zugestimmt, bei dem Projekt die Klausel für indigene Völker (Weltbank-Safeguards) außer Kraft zu setzen – und schaffte so einen Präzedenzfall zur Aussetzung ihrer eigenen Regelung. Im März wurde der Millionenkredit trotz Kritik bewilligt, mit Zustimmung der Bundesregierung. Niema Movassat, Bundestagsabgeordneter der Linken, wirft Deutschland als viertgrößtem Anteilseigner der Weltbank vor, es würde die eigenen Versprechungen nicht achten und den Schutz der Indigenen nicht berücksichtigen. Das Bundesentwicklungsministerium konterte, die tansanische Regierung hätte zugesichert, Landrechte nicht zu beeinträchtigen und gefährdete Gruppen zu schützen. 2)Deutsche Welle: Weltbank setzt Schutz von Indigenen in Tansania aus; 20.06.2016
Letztlich wird also das fruchtbarste Gebiet des Landes auf Wunsch der Regierung für ausländische Investitionen frei gegeben werden. Doch bereits vor Projektbeginn berichteten zahlreiche Menschenrechtsorganisationen und Einheimische von Vertreibungen: Mindestens 5000 Ureinwohner seien bisher betroffen und hätten ihre Lebensgrundlage verloren, berichtete die Süddeutsche Zeitung. Das Hilfswerk Misereor hatte bereits in den vergangenen Jahren weitere Landkonflikte festgehalten. Auch staatliche tansanische Kräfte hätten sich Menschenrechtsverletzungen zuschulden kommen lassen, darunter Vergewaltigung und Totschlag. 3)Süddeutsch Zeitung: „Als würden wir nicht existieren“; 19.06.2016
Einer der Betroffenen ist Salumu Kundaya Kidomwita, ein sechzigjähriger Nomade der Gruppe Barbabaig, der von Viehzucht, Ackerbau und Jagd lebt. Er muss sein Dorf verlassen um SAGCOT Platz zu machen – und das nicht zum ersten Mal. Bereits vor acht Jahren wurde er zum ersten Mal vertrieben. Damals entstand eine Reisplantage, dort wo sein Heimatdorf stand. „Es ist, als würden wir in Tansania nicht existieren. Es ist, als wäre es nicht unser Land.“, erzählt Kidomwita, „Wir leiden.“ Die Indigenen fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen, würden als Eindringe bezeichnet, die auf den Feldern der sogenannten Investoren hausten. 4)Süddeutsch Zeitung: „Als würden wir nicht existieren“; 19.06.2016
Eines der größten Probleme bei solchen Investitionen ist, dass die Bevölkerung ihr Land überträgt ohne frühzeitig und umfassend über die Pläne sowie über Risiken und Auswirkungen des Verkaufs informiert zu werden. Auch ist in Tansania ein Großteil des Landes nicht amtlich registriert. Zwar lebt die Bevölkerung seit Generationen in den betroffenen Gebieten und bestellt dort das Land, hat aber keinen offiziellen Landtitel. Dementsprechend oft werden die Rechte der Kleinbauern missachtet und ihre Interessen übergangen. 5)Misereor: Ernährungssicherheit in Tansania: Die SAGCOT-Strategie schlägt fehl; 15.02.2016 Außerdem machen die Investoren zahlreiche Versprechen, um die Landbevölkerung von der Landvergabe zu überzeugen. Schulen, Infrastruktur, Krankenstationen und die generelle Verbesserung der Lebensbedingungen sind nur einige davon. Auch eine verbesserte Job-und Einkommenssituation gehört dazu. Als Arbeiter auf den neu entstehenden Plantagen verdienen die Bauern allerdings nicht einmal den nationalen Mindestlohn, zum Überleben keineswegs genug. Die Plantagen bedrohen außerdem die Ernährungssicherheit. Statt lebensnotwendigen Mais anzubauen, um die ansässige Bevölkerung zu ernähren, produzieren Investoren Lebensmittel für den Export. Die neuen Güter sind für die Bevölkerung nicht brauchbar, in der Konsequenz müssen sie teurer importierte Ware erwerben, für die sie kein ausreichendes Einkommen haben. Die großen Versprechen der Investoren bewahrheiten sich in der Regel nicht, die Bevölkerung ist enttäuscht, hilflos und vielerorts in ihrer Existenz bedroht. 6)Misereor: Ernährungssicherheit in Tansania: Die SAGCOT-Strategie schlägt fehl; 15.02.2016
Auch ein Bericht des Misereor-Hilfswerks über SAGCOT urteilt, dass Kleinbauern nicht von Großprojekten profitieren würden. Hunger und geringes Einkommen als Plantagenarbeiter treiben die Menschen in die Not. Dieser Bericht lag auch der Bundesregierung vor, dennoch entschied sie sich, die Weltbankinvestition zu unterstützen. 7)Süddeutsch Zeitung: „Als würden wir nicht existieren“; 19.06.2016 Die Menschenrechtsorganisation Urgewald hält diese Entscheidung für bedenklich. „Das scheint ein Weg zu werden, wie man zwar auf dem Papier diese Standards beibehält, aber sie immer, wenn es opportun erscheint, einfach außer Kraft setzt, sobald sich irgendein Staat gegen die Anwendung wehrt“, meint Knud Vöcking, Weltbankexperte bei Urgewald. 8)tagesschau.de:Deutschland und die Vertreibungen in Tansania „… als wäre es nicht unser Land“; nicht mehr verfügbar Bereits im vergangen Jahr geriet die Weltbank in die Kritik, nachdem die Auswertung offizieller Dokumente ergeben hatte, dass durch ihre Entwicklungsprojekte innerhalb von 10 Jahren etwa 3,4 Millionen Menschen umgesiedelt wurden oder ihre Lebensgrundlage verloren. 9)NDR: Trotz Vertreibung von Ureinwohnern: Weltbank und Bundesregierung bewilligen Großprojekt in Tansania; Stand 19.06.2016
Fußnoten und Quellen:
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