Konflikt-Tomaten aus der letzten Kolonie Afrikas
Die Deutschen lieben Tomaten – etwa 20 Kilo verspeist ein Durchschnittsbürger im Jahr. Besonders die Cherry-Tomaten liegen im Trend. 1) France Bon Appétit: Tomaten auf dem Vormasch – nicht mehr verfügbar Diese werden größtenteils importiert – auch aus Konfliktgebieten, in denen Wassermangel und Unterdrückung der lokalen Bevölkerung vorherrschend ist. Tomaten aus Marokko stammen oft tatsächlich aus der Westsahara: das Gebiet wird seit 1975 durch das Königreich Marokko besetzt. Der Anbau erfolgt in Gebieten, in denen die ursprünglichen Ansässigen, die Sahrauris, vertrieben werden oder in extremer Diskriminierung und Marginalisierung leben. 2) taz: Westsahara-Gemüse bei Rewe& Co – Artikel vom 22.07.2013
Der Konflikt um die Westsahara schwelt bereits seit 40 Jahren. Seit 1975 besetzt Marokko die ehemalige spanische Kolonie. 1988 wurde Waffenstillstand zwischen dem marokkanischen Militär und der westsaharischen Befreiungsfront Frente Polisario beschlossen – unter der Bedingung, ein Referendum über die Unabhängigkeit des besetzten Gebietes abzuhalten. Dieses fand bis heute nicht statt. 3) DW: Westsahara-Streit: UN-Team verlässt Marokko – Artikel vom 20.03.2016 Seitdem herrscht ein brüchiger Waffenstillstand in der Region. Politische Repression, Marginalisierung und Diskriminierung sind Alltag für die dort lebende, lokale Bevölkerung. Ein großer Teil der Sahrauis lebt auch in Flüchtlingslagern in der Wüste. 4) Deutscher Bundestag: Antwort der Bundesregierung – vom 15.05.2013
Für den Import von Tomaten ist der wichtigste Nicht-EU Lieferant mit 36. 000 Tonnen jährlich Marokko. 5) taz: Westsahara-Gemüse bei Rewe& Co – Artikel vom 22.07.2013 Etwa die Hälfte der Tomaten, die angeblich aus Marokko stammen, wird aber tatsächlich in dem besetzten Gebiet der Westsahara angebaut. Bei der Tomatenproduktion werden die fossilen Wasserreserven angegriffen, während die Indigenen an erheblichem Wassermangel leiden. Somit wird Wasser verbraucht, das nicht erneuert wird – ein hohes, ökologisches Risiko. 6) Neue Zürcher Zeitung: Keine Tomaten mehr aus der Westsahara – Artikel vom 10.02.2016
Für Frankreich ist Marokko ein wichtiger Handelspartner. Auch das französisch-marokkanische Joint Venture Azura ist beim Gemüseanbau nahe der Stadt Dakhla beteiligt. Kritiker führen an, dass die Agrar-Investitionen die völkerrechtlich widrige Besetzung durch Marokko legitimieren. 7) Zeit Online: Saftiges aus der Sahara – Artikel vom 27.03.2013
Besonders zynisch ist der exzessive Tomatenanbau in Hinblick auf die Situation der Flüchtlinge: Diese leiden in der Wüste unter massivem Wassermangel. In den Camps der algerischen Wüste, in denen tausende Sahrauis schon seit mehr als 30 Jahren leben, ist jeder Tropfen Wasser wertvoll. Dort wächst bereits die dritte Generation heran. 8) Neue Zürcher Zeitung: Jahrzehntelanges Warten im Sand – Artikel vom 16.03.2014 Während die Sahrauis den Wunsch nach Unabhängigkeit seit mehr als 40 Jahren standhaft vertreten, bleibt der Widerstand bisher friedlich. Es besteht aber die Gefahr, dass die frustrierte Jugend – die in den Lagern aufgewachsen ist und keinen Fortschritt hingehend einer Einigung sieht – zu den Waffen greift. Die Generation, die bereits in den Flüchtlingslagern auf die Welt gekommen ist, leidet an einem Identitätsverlust. 9) Deutscher Bundestag: Antwort der Bundesregierung – vom 15.05.2013
Die Westsahara ist reich an Ressourcen – davon profitieren die Besatzungsmacht und ausländische Unternehmen, nicht aber die Sahrauris. Obwohl nach dem internationalen Völkerrecht die Bevölkerung in besetzten Gebieten befragt und an den Profiten beteiligt werden muss, trägt die Tomatenproduktion in der Westsahara im Gegenteil zur Unterdrückung der Bevölkerung bei. «Der Handel dieser Produkte unterstützt ganz klar die Besatzungsmacht Marokko und die Aufrechterhaltung des Status Quo.», so Sylvia Valentin von Terre des Hommes Schweiz. 10) SRF: Tomaten aus Konflikt-Gebiet: Detailhändler verschleiern Herkunft – Artikel vom 09.02.2016
Die Sahrauris, die sich mit friedlichen Demonstrationen gegen die Besatzung wehren, werden nicht selten in marokkanischen Gefängnissen Opfer von Folter und Demütigung. Auch das bestärkt die Motivation einer steigenden Anzahl an jungen Sahrauis, erneut für die Unabhängigkeit und ein Leben in Freiheit zu kämpfen. Dies birgt die Gefahr der Eskalation. Davor warnt ein westsaharischer Minister im Exil: „Eine mögliche Rückkehr zu den Feindseligkeiten wird nicht zeitlich und räumlich begrenzt sein. Dieses Mal wird der Krieg erst mit der völligen Befreiung unserer besetzten Heimat enden“ 11) taz: Marokko setzt auf Eskalation – Artikel vom 03.04.2016
Der Fokus auf wirtschaftliche Interessen, der letztendlich zur Unterdrückung einer Volksgruppe führt, kann somit für eine weitere Verschärfung von Fluchtursachen und damit für mehr sahrauische Flüchtlinge sorgen. Erst kürzlich wurde die Entscheidung getroffen, Marokko als sicheres Herkunftsland zu deklarieren – die letzten 40 Jahre in der Westsahara zeigen, dass dies sicher nicht für alle gilt.