Nordkaukasus-Flüchtlinge: Wovor fliehen die Menschen?
Im Januar 2016 gehörten zu den Hauptherkunftsländern der Asylerstanträge in Deutschland Syrien mit einem Anteil von 53,7 Prozent, der Irak mit einem Anteil von 13,0 Prozent und Afghanistan mit 9,7 Prozent. 1) Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Aktuelle Zahlen zu Asyl – nicht mehr verfügbar Man darf jedoch nicht vergessen, dass in anderen Regionen der Welt ebenfalls eine Situation herrscht, bei der keine andere Wahl bleibt, außer zu fliehen: Auch dort, wo es gerade keinen offenen Krieg gibt, sind Leute gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.
Im Jahr 2006 haben die Flüchtlinge aus den nordkaukasischen Teilrepubliken Russlands Tschetschenien und Dagestan die größte Gruppe der Asylbewerber in Deutschland gestellt. Nach sieben Jahren ist die Anzahl der fliehenden Kaukasier nicht wesentlich zurückgegangen: Im Jahr 2013 sind von dort 11.564 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, deutlich mehr als aus Syrien (5514) und Afghanistan (4206). 2) DW: Kaukasus-Flüchtlinge drängen nach Deutschland – Stand 22.02.2016
Obwohl der Zweite Tschetschenienkrieg seit 2009 offiziell als beendet gilt (die militärische Phase endete bereits im Frühjahr 2000), ist die Sicherheitslage im Nordkaukasus nach wie vor sehr brisant. Von der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial sowie von den internationalen Menschenrechtsorganisationen Human Right Watch, Amnesty International u. a. wurden Menschenrechtsverletzungen, ungesetzliche Freiheitsberaubungen, systematische Anwendung von Folter, ungesetzliche Misshandlung und Erschießung von Gefangenen, Vergewaltigungen, Raub und terroristische Anschläge dokumentiert. 3) Deutsch-Kaukasische Gesellschaft e.V.: Menschenrechte – Stand 22.02.2016
Unter der Ägide Putins regiert Ramsan Kadyrow Tschetschenien seit fast zehn Jahren. Der Republikchef hat jegliche Opposition und Widerstände durch seine eigenen Sicherheitskräfte, eine Art Privatarmee, komplett ausgeschaltet. Diese „Kadyrowzy“ sollen etwa 80.000 Mann stark sein. Sie unterstehen Kadyrows Kommando und sind für ihre Brutalität bekannt. Trotz aller Loyalitätsbekundungen gibt Kadyrow sogar der Regierung in Moskau kontra. Im letzten Frühjahr befahl er beispielweise seinen Leuten, künftig ohne Vorwarnung auf russische Polizisten zu schießen, die Tschetschenien ohne Voranmeldung betreten. Nichtdestotrotz lässt der Kreml Kadyrow weitgehend gewähren, Tschetschenien gilt als rechtsfreier Raum. 4) Deutschlandfunk: Leben in der Diktatur – Stand 22.02.2016
Die Situation im Kaukasus ist gefährlich, nicht nur weil sie tausende Menschen zur Flucht zwingt, sondern auch weil sie zur Verbreitung des radikalen Islams in der Region beiträgt. Korrupte lokale Eliten und ihre Willkür, eine anhaltend hohe Jugendarbeitslosigkeit und niedrige Einkommen führen zum Teil dazu, dass die Gesellschaft sich radikalisiert und die Menschen „lieber die Gesetze Gottes als gar kein Gesetz“ vorziehen. 5) Boris Reitschuster: Putins Demokratur: Ein Machtmensch und sein System, S. 182 Mit ihren einfachen Regeln erscheinen sie wie ein Mittel gegen die grassierende Korruption, das Versagen der Verwaltungen und die fehlende Rechtsstaatlichkeit im Nordkaukasus. 6) Tagesschau: Terror im Namen der Ahnen – Stand 22.02.2016
Diese Umstände wurden zusätzlich durch die langjährige „Gewaltkultur“ erschwert, die sich im Zuge der rücksichtslosen Bekämpfung des zunächst ethno-nationalistischen Widerstands und später des islamistischen Terrorismus durch die russischen Sicherheitsorgane etabliert hat. Die repressive Anti-Terror-Politik Moskaus und der Versuch einer gewaltsamen „Pazifizierung“ haben die Desintegration der Region und die Radikalisierung vor allem junger Muslime nur noch weiter befördert. 7) Bundeszentrale für politische Bildung: Nordkaukasus – Stand 22.02.2016
Fußnoten und Quellen:
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