Nigeria: Zwischen zwei Fronten – Teil II
Erst vor ein paar Wochen verübte die islamistische Boko-Haram-Miliz mehrere Anschläge in einer nigerianischen Stadt, wobei mindestens 15 Menschen starben. Baga, eine Stadt im Norden Nigerias, wurde innerhalb von vier Tagen fast komplett bis auf die Grundmauern zerstört. Im April 2014 wurden mehr als 270 Schülerinnen entführt. Meldungen, die in Nigeria lange nichts Neues mehr sind. Fast wöchentlich kommen solche schrecklichen Nachrichten aus diesem Land.
Der Anfang der Gruppe geht auf das späte 20. Jahrhundert zurück. Begründet wurde diese Organisation von Muhammad Yusuf, einem Prediger, der vortäuschte gegen die Obrigkeit zu kämpfen, dieser jedoch selbst sehr nahe stand. Es gibt mehrere Übersetzungsmöglichkeiten für Boko Haram, die am weitesten verbreitete bedeutet: „Westliche Bildung verboten“. Der Norden Nigerias, überwiegend muslimischen Glaubens, war wesentlich ärmer und infrastrukturell schlechter erschlossen als der ölreiche Süden, welcher mehrheitlich christlich ist. Deswegen konnte Muhammad Yusuf auch schnell viele Anhänger für seine Predigten finden, in denen er die Korruption des Staates anprangerte. Nachdem im Jahr 2003 ein angebliches Versprechen, die Scharia vollständig einzuführen, nicht vom Gouverneur eingehalten wurde, predigte Yusuf härter gegen den Staat. Yusuf hatte diesem bei den Wahlen zum Erfolg verholfen. Daraus entstanden zwischen dem Staat und der Gruppierung immer wieder kleinere Zusammenstöße. Nachdem vor sieben Jahren 14 Gefolgsmänner von Sicherheitskräften erschossen wurden, kam es schließlich zur Eskalation zwischen den Anhängern von Boko Haram und der Armee. In Folge der Konflikte wurde Yusuf gefangengenommen und 2009 in Polizeigewahrsam umgebracht. Als sich ein Jahr später ein Stellvertreter Yusufs zum neuen Anführer ausrief, kamen die Überlebenden aus dem Umland zurück und folgten diesem. Der Terror wurde jedoch nicht weniger schlimm, sondern noch brutaler. Die Miliz tötet nun nicht nur Christen, auch „fehlgeleitete“ Muslime sind unter den Opfern. 1)Frankfurter Allgemeine: Jahre des Terrors – Stand: 12.01.16
Diese religiösen Unterschiede in Nigeria gehen, wie in den meisten afrikanischen Ländern, zurück auf die Kolonialzeit. In jener Zeit beachtete man die ethnischen Grenzen auf diesem Kontinent nicht, als man die Landesgrenzen festsetzte. Um 1900 schätze man die Zahl der Christen auf etwa ein Prozent, die der Muslime auf sechsundzwanzig in Nigeria. Dieses Verhältnis änderte sich im 20. Jahrhundert nach der Unabhängigkeit schlagartig. Nun überwiegen im Süden und in der Mitte die Christen, im Norden gibt es nur noch ein paar christliche Minderheiten. Die Eliten des Landes nutzen dies für sich, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. So entstand keine nationale Identität und es war ein leichtes, diese Lücke durch eine Weltanschauung, sprich eine Religion, zu füllen. 2)NOREF: Boko Haram: origins, challenges and responses (PDF-Datei) – Stand: 13.01.16
Das Militär und auch die Polizei müssten eigentlich für Sicherheit sorgen, sie verbreiten jedoch, wie die Salafisten-Gruppe, Angst und Schrecken und hinterlassen ein ebenso – wenn nicht noch grausigeres Bild. Verdächtige, die nur im Entferntesten etwas mit Boko Haram oder einer anderen Tat zu tun haben könnten, werden von den Sicherheitskräften verhört. Diese Verhöre finden unter menschenunwürdigen Bedingungen und Folter statt. Es ist dabei egal, ob dieser unschuldig ist, Hauptsache der Staat kann eine Erfolgsmeldung verzeichnen. Frauen werden vergewaltigt und misshandelt, Männer müssen ihr Blut, das mit Sand gemischt ist, vom Boden auflecken und schlucken, wie verschiedene Opfer in einem Bericht von Amnesty International berichten. Selbst Kinder sind unter den Gefangenen, denn diese in eine eigene Jugendzelle zu stecken, wäre zu aufwendig. Also werden Kinder teils mit zwanzig Erwachsenen zusammengepfercht.
Ethan, ein 17-jähriger Junge, berichtete von seiner Gefangenschaft: „Die Polizei nahm mich gefangen und sagte, ich wäre ein ,Kultist‘. Sie prügelten mich auf der Straße; zwei Polzisten schlugen mich mit ihren Händen. […] Ich blieb zwei Tage in der Gefängniszelle der Polizeistation ,Mile 1‘. In ,Mile 1‘, nahmen sie meine Aussage auf. Ich sagte ihnen, ich habe überhaupt nichts gemacht. Sie glaubten mir nicht… Ich wurde dann nach SARS (Special Anti-Robbery Squad) verlegt. Bei SARS schlugen sie mich wirklich hart. Als ich meine Aussage nicht schreiben wollte, fingen sie an mich zu schlagen. Sie schlugen mich mit Stöcken, peitschten meine Knie. Traten auf meine Fußknöchel. Nachdem ich meine Aussage geschrieben hatte, steckten sie mich wieder in die Zelle. […] Ich war drei Wochen dort.“ 3)Amnesty International: Welcome to hell fire (PDF-Datei) – Stand: 13.01.16
Diese langanhaltende Terrorisierung durch Boko Haram sowie durch das Militär führte schon 2007-2009 zu einem Flüchtlingsstrom, der aus Nigeria kam, wie die Zahlen der Erstanträge des BAMFs belegen. 2014 sind laut Tagesschau 9.000 Flüchtlinge aus Nigeria nach Europa geflohen. Die meisten der Kriegsflüchtlinge zieht es jedoch in benachbarte Länder oder auch in andere Teile Nigerias, was eine weniger gefährliche, billigere und kürzere Alternative zu Europa ist. Sie hoffen, dass diese Gewalttaten bald ein Ende finden und sie zurück nach Hause kehren können. 4)BAMF: Das Bundesamt in Zahlen 2014 (PDF-Datei von docplayer) – Stand: 21.10.16 5)tagesschau: Woher die Flüchtlinge kommen – nicht mehr verfügbar
Fußnoten und Quellen:
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